Culture Clash mit Marmelade


Weiß meine Mutter eigentlich, dass sie seit Jahrzehnten europäisches Recht bricht? Seit ich denken kann, heißt bei ihr Marmelade einfach Marmelade, egal ob aus Erd-, Him- oder Brombeeren. Und nun erfahre ich, dass laut einer EU-Verordnung Marmelade nur dann so genannt werden darf, wenn sie aus Zitrusfrüchten besteht. Alles andere heißt Konfitüre oder Gelee. Probleme haben die, die Europäer.

Letztens war bei uns im Garten wieder einmal Bananenernte. Unser Wächter, der tagsüber am Tor steht, hat nebenbei auch ein Auge auf die Bananenstaude. Kurz bevor die Früchte reif werden, nimmt er sie ab, steckt sie grün wie sie sind in einen Sack, und wartet auf die Metamorphose. Ließen wir sie zu lange hängen, endeten sie nur als Snack im Magen von Affe, Ibis und Co.

In den Tagen nach der Zweiternte aus dem Sack kommt es in unserem Haushalt regelmäßig zu einer in Fachkreisen als „Banana-Overflow“ bekannten Überversorgung an Bananen. Obwohl wir mit den beiden Wächtern, dem Gärtner und der Putzfrau teilen, bleiben immer noch etwa 5 Kilogramm Bananen übrig.

Verzweifelt schnipple ich dann Bananen ins Müsli, trinke Bananenmilchshake, backe Bananenkuchen, brate Bananen in der Pfanne und esse sie, wenn alles nichts hilft, auch einfach so. Denn ist die Banane einmal reif, will sie schnell gegessen werden, bevor sie unappetitlich braun wird.

Wie ich also eher lustlos auf Banane Nummer 97 herumkaue, frage ich mich, ob es denn nicht möglich wäre, Bananen zu konservieren. Stunden später fällt mir Marmelade ein. Es ist immer wieder schön, das Rad neu zu erfinden. Das Einkochen von Früchten mit Zucker ist ja schließlich nichts wirklich Revolutionäres. Aber Bananenmarmelade?

Gehe hinaus und frage unseren Wächter, ob er schon einmal etwas von „Banana-Marmalade“ gehört hat. Hat er nicht. Was ist das? Die Engländer nennen es auch „Jam“, sage ich (wobei ich später feststellen werde, dass das nicht ganz stimmt, in England ist Jam Konfitüre und Marmalade besteht nur aus Orangen). Ja, von „Jam“ hat er schon mal gehört, aber noch nie probiert. Wer im goldenen Käfig sitzt, muss immer wieder daran erinnert werden, wie es den anderen da draußen geht.

An der Idee Früchte einzukochen, prallen die Kulturen aufeinander. Nicht an allen, aber doch an vielen Orten Kenias wächst übers Jahr gesehen immer irgendeine Frucht: Banane, Mango, Papaya, Guave, Orange und Ananas versüßen den Alltag neben Gemüse wie Kassava, Süßkartoffeln, Pfeilwurz, Mais und so weiter. In Mitteleuropa wächst von November bis März nicht ganz so viel im Garten und auf dem Acker.

So begründe ich also dem Wächter gegenüber mein Vorhaben, 1 Kilo Bananen mit Zucker und Zitronensaft einzukochen. Ich verspreche ihm auch ein Glas. Er schaut sehr, sehr skeptisch drein. Zwei Stunden später trage ich ein Schälchen zum Probieren nach draußen. Er nimmt es, bedankt sich und sagt sehr diplomatisch, er würde mich später über das Resultat der Verköstigung informieren.

Zehn Minuten später klopft es am Fenster. Der Wächter steht da und reicht mir die leergegessene Schale durch die Gitterstäbe. „Und?“, frage ich. „Phantastisch!“, sagt er. Da er sich gerade Mittagessen gekocht hatte, hat er die Marmelade mit Kartoffeln und Reis gemischt. Absolut großartig!

Schon hebe ich an, ihn zu belehren, dass Marmelade aber aufs Brot gehört, da lasse ich es sein. Mag ja sein, dass die Idee Früchte einzukochen, mitteleuropäisch ist. Aber wir sind hier nicht in Mitteleuropa. Soll doch jeder seine Bananenmarmelade essen, wie er’s mag. Vielleicht lasse ich mich sogar inspirieren. Ob das auch mit Spätzle funktioniert?

P.S.: Weil es so schön ist, hier der entsprechende Auszug aus der

Verordnung über Konfitüren und einige ähnliche Erzeugnisse
(Konfitürenverordnung – KonfV), Ausfertigungsdatum: 23.10.2003

Marmelade ist die streichfähige Zubereitung aus Wasser, Zuckerarten und einem oder mehreren der nachstehenden, aus Zitrusfrüchten hergestellten Erzeugnisse: Pülpe, Fruchtmarkt, Saft, wässriger Auszug, Schale. Die für die Herstellung von 1.000 g Enderzeugnis verwendete
Menge Zitrusfrüchte beträgt mindestens 200 g, von denen mindestens 75g dem Endokarp entstammen.