Die Schrank-Jirga

Endlich ist es vollbracht! Nach drei je zweiwöchigen Nairobi-Aufenthalten und weiteren drei Tagen harter Verhandlungen (Nein! Es ist kein Scherz!) ist es meiner Frau und mir ohne Blutvergießen, gegenseitiges Anbrüllen oder Türenzuschlagen, endlich gelungen, 6 m² begehbaren Kleiderschrank (auch das ist kein Scherz! Der Schrank ist der Traum jeder Frau bzw. First Lady) aufzuteilen.

Liebe Leute, es ist ja nicht so, dass der Schrank unser einziger wäre. Wir haben zwei, nein drei weitere Schränke (u.a. einen in meinem Arbeitszimmer und einen in D’s-/Gäste-Zimmer) mit über weit über 10 m² (!) Aufhänge- und Ablagemöglichkeiten. Aber an diesen 6 m² sollte sich unser Schicksal entscheiden, denn eigentlich ging es ja nicht um den Schrank, sondern… na das wisst ihr schon.

Also was war passiert? Eigentlich der Klassiker. Das Paar macht den größten Fehler überhaupt. Anstelle sich eine neue Wohnung zu suchen, zieht einer der beiden in die voll eingerichtete Wohnung des anderen Partners. Die Partnerin hat sich natürlich in den letzten 1 ½ Jahren in der Wohnung ausbereitet und es sich gemütlich gemacht. Nun kommt der neue Mieter – der übrigens nichts zu den Mietkosten beiträgt – und möchte auch seinen Anteil an der nun gemeinsamen Wohnung haben. Und es passiert das, was man bei 6-jährigen Kindern beobachten kann: Es wird um jeden Millimeter, jede Ecke und jeden weiß Gott was gekämpft.

Multipliziert das nun zu unserer neuen Situation und dichtet euch die Punkte aus meiner „Pasha-Geschichte (1)“ dazu, dann habt ihr eine Ahnung von der Brisanz der Lage. Nun sind meine Frau und ich natürlich keine Sechs mehr. Auch haben wir beide in AFG die Chance gehabt das zu lernen, was viele klassische Paare nicht lernen: Wie können in einem Land, in dem es keine funktionierende Gerichtsbarkeit gibt, Konflikte friedlich und nachhaltig gelöst werden? Ist doch klar, in einer Jirga**.

Es funktioniert so: Die Dorfältesten (natürlich alles Männer) plus jede Menge Zuschauer (auch das sind nur Männer und Kinder) setzen sich unter den größten Baum des Dorfs. Es wird gesprochen, diskutiert, gegessen, geraucht und wieder gegessen und getrunken. Jeder (!) bringt – teilweise durch Zuruf – einen oder sogar mehrere Vorschläge ein, diese werden abgewogen, abgewandelt, bewertet und im Zweifel verworfen. Und dann geht alles von vorne los. Und schon ist es dunkel. Also setzt man sich am nächsten Tag nochmals zusammen. Und am nächsten Tag und am nächsten Tag und … bis eine Lösung gefunden wird. In der Sache geht es mal um den überfahrenen Esel (klingelt da was?) und mal um ein geklautes Huhn. Nicht selten geht es auch um wirklich ernste Sachen. Das Ausschlaggebende ist jedoch: Am Ende gibt es IMMER eine Lösung mit der alle Beteiligten zufrieden sind. Damit kehrt der Dorffrieden wieder zurück und alle sind glücklich! (Eine kritische Frage: Diese tagelangen Sitzungen betreffen nur einen einzigen Fall. In einer Beziehung gibt es aber regelmäßig Konflikte. Was bedeutet aber dieser Konfliktlösungsmechanismus für die Beziehung, wenn das Paar über Wochen blockiert ist? Überträgt das mal auf ein Dorf bzw. Land und überlegt nun, ob wir den richtigen Ansatz bei unserer Unterstützung in AFG verfolgen?!).

Nach dem es D. und mir während meiner drei Aufenthalte nicht gelungen war, eine Lösung zu finden (ein neues Haus nicht in Frage kam: „Wir zahlen doch nicht das Dreifache an Miete, damit der Herr nicht das Gefühl hat zu mir zu ziehen! Von der enormen Steigerung des Einbruchsrisikos mit allem was daran hängt ganz abgesehen.“), mussten wir nun eine Einigung finden. Just in dem Moment haben wir uns auf die Erfahrungen in AFG zurückbesonnen. Ganz nach dem Motto: „Das was ein paar langbärtige Männer können, können wir Intellektuelle und gut Ausgebildete schon längst!“ haben wir losgelegt. Zunächst wurden die über Jahrtausende mühevoll erarbeiteten Mechanismen und Traditionen auf die Bedürfnisse der heutigen Ehe und unsere spezifische Situation angepasst:

  1. wir erklärten uns zu den Dorfältesten (immerhin hatte ich mich seit 8 Tagen nicht rasiert),
  2. auf die Zuschauer haben wir wegen unüberbrückbarer kultureller Unterschiede und wegen Übersetzungskosten verzichtet (das wären sowieso nur unsere schweizerischen, indischen oder chinesischen Nachbarn oder unsere kenianischen Guards, die sicherlich keine Zeit und noch weniger Verständnis für sowas hätten, gewesen),
  3. das Verbot der Teilnahme von Frauen an Jirgas haben wir wegen Artikel 3 des deutschen Grundgesetzes kurzer Hand außer Kraft gesetzt (Nein es lag NICHT daran, dass D. das Geld nach Hause bringt und die Miete zahlt!) und
  4. anstatt unter einem Baum zu sitzen, stellten wir uns einfach in den Kleiderschrank.

Ich möchte euch jeden einzelnen Schritt, jeden Vorschlag und Gegenvorschlag sowie deren 1001- fache Abwandlungen ersparen („Schatz, ich bin 190 cm groß! Ich kann meine Sachen doch nicht unten aufhängen“. „Ja genau deswegen solltest du auch die beiden oberen Etagen rechts und links nehmen! Da oben sehe ich doch nix.“, oder „Ich bin doch eine Frau! Ich benötige mehr Platz.“ „Wie?! ich dachte, ich wäre die First Lady?“). Eins kann ich euch versichern: Obwohl diese Jirga eine Stellvertreter-Jirga für viele weitere Fragen war, hatten D. und ich selten so viel Spaß zusammen. Teilweise kamen uns – gerade dann, wenn nach einer Pause D. versuchte, die mühevoll ausgearbeiteten Zwischenergebnisse wieder über den Haufen zu werfen, um sich eine bessere Verhandlungsposition zu schaffen – vor Lachen die Tränen. Und Hand aufs Herz! Wir haben uns kein einziges Mal angebrüllt.

Nun zum Ergebnis. So würde der Schrank leer aussehen:

Und am Ende des dritten Tages sah die Aufteilung so aus (grün steht für D. und blau für Hirbod):

Wie wir das geschafft haben? Nun das ist unser Geheimnis. Gegen Bezahlung kann ich euch gerne – auch über Skype – z.B. in einer Paartherapie die Lösungsmöglichkeiten aufzeigen (irgendwie muss ich ja mein miserables Taschengeld aufstocken!).

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* Foto: Hirbod Aminlari, 2005
** Mehr zum Thema Jirga erfahrt ihr u.a. hier: http://unpan1.un.org/intradoc/groups/public/documents/apcity/unpan017434.pdf