Ein Leben in der Öffentlichkeit

Einmal, noch ziemlich am Anfang meiner Zeit in Kenia, war ich eingeladen auf Snacks und Drinks bei Freunden. Es war warm, Kinder plantschen im Pool, Hunde dösten im Schatten. Mit einem Drink in der Hand schlenderte ich durch die Menge der Gäste, hörte hier zu, sagte dort etwas, und fand mich plötzlich in einer Diskussion über das harte Leben mit Hausangestellten wieder.

Klassiker und Klischee ist es an dieser Stelle, über den Gärtner, die Putzfrau, den Koch, den Fahrer oder den Wächter zu schimpfen. Mal wird eine geliebte Pflanze zerstört oder ein Kleid nicht korrekt gebügelt. Mal  kommt etwas Wertvolles im Haushalt abhanden (das meist später wieder gefunden wird), oder die seit Kindertagen geliebte Teetasse hat nach dem letzten Abwasch eine Macke. Das Fazit ist immer gleich: Wie schwer es doch ist, gutes Personal zu finden. So war es auch im Kreis der Gäste.

Vom frühen Drink befeuert (es war noch lange vor Sonnenuntergang) warf ich ein, wenn das alles so schlimm ist, dann schafft doch euer Personal ab.  Leichtes bis mittleres Unverständnis in der Runde. Ich räumte ein, dass ich natürlich auch keine Lust hätte, selbst zu putzen, mich aber die ständige Anwesenheit einer Haushälterin doch sehr störte.

Das lag nicht etwa am Lärm, den sie beim Putzen machte, eher im Gegenteil. Ein leises Schrubben knapp oberhalb der Wahrnehmungsschwelle hebt eigentlich den gefühlten Komfort ungemein.  Schuld war meine ganz persönliche Arbeitsethik. Zwar erlaubte sie ausdrücklich zeitweiliges Faulenzen meinerseits, aber nicht, wenn ich dabei andere schuften sah, oder, andersherum: wenn die arbeitende Bevölkerung mir dabei zusehen würde. Will sagen: Ich schämte mich, nachmittags kaffeeschlürfend auf dem Sofa herumzulungern, während die Haushälterin um mich herum Staub wischte.

Was tun? Meine erste Idee war, nachmittags keinen Kaffee mehr zu trinken. Die zweite, wohl Kaffee zu trinken, aber nicht auf dem Sofa, sondern am Schreibtisch im Arbeitszimmer. Und die dritte, das Personal generell abzuschaffen. Doch dann hätte sich die Haushälterin einen neuen Job suchen und ich selbst aufräumen müssen. Das war also auch keine Lösung. Fortan trank ich nachmittags Kaffee am Schreibtisch.

Die Zuhörer wiegten die Köpfe, stocherten mit Röhrchen im Gin-Tonic oder nahmen einen Schluck aus der Bierflasche. Die einen meinten, ja, da sei was dran, andere waren unentschieden. Nur in einem Gesicht sah ich düstere Protestwolken heraufziehen. Dabei war ich noch gar nicht fertig mit meiner Klage.

Von der Scham abgesehen, fuhr ich fort, zwänge die Anwesenheit anderer Leute einen zur ständigen Selbstreflektion. Es ist, als würde ständig ein Spiegel vor einem hergetragen werden. Allein zuhaus‘, würde ich nämlich den zweiten Morgenkaffee vielleicht nicht nur auf dem Sofa, sondern auch noch im Pyjama zu mir nehmen. In Anwesenheit der Putzfrau ist jedoch andere Kleidung angemessen. Auch könnte ja der Gärtner am Fenster vorbeigehen, dicht gefolgt vom Wächter, der aus lauter Langeweile dem Gärtner gerne beim Gärtnern zusieht.

An dieser Stelle unserer Diskussion reichte es dem Mann mit den Gewitterwolken im Gesicht endgültig. Es war ein Engländer, dessen Familie seit Generationen in Kenia zuhause ist. Na und, rief er, und schien wirklich sauer zu sein. Also das könne er jetzt einfach nicht fassen. Wo denn Problem sei? Er sei mit jeder Menge Angestellten aufgewachsen. Das sei doch ganz normal. Ich solle mich jetzt mal nicht so anstellen. Da gewöhne man sich schon dran.

Da gewöhnt man sich dran? Leicht gesagt, wandte ich ein, eine Haushälterin in Kenia verdient für 100 Euro im Monat und arbeitet dafür sechs Tage die Woche. Für 100 Euro kommt eine Putzfrau in Frankfurt einmal die Woche für zwei Stunden ins Haus – wenn man Glück hat. Das reicht für sie nicht zum Bügeln, und für mich nicht, mich an die ständige Anwesenheit von Personal zu gewöhnen. Auch von zuhause bringe ich dafür nicht die nötige Eignung mit. Für meine Mutter, eine echte schwäbische Hausfrau, ist es bis zum heutigen Tag eine Frage der Ehre, das Haus selbst zu besorgen.

Eine Einigung schien nicht in Sicht. Doch wie es solche Partys an sich haben, sind Gespräche ebenso schnell begonnen wie beendet. Nichts hat Bedeutung, alles ist heiter und belanglos, Kinder plantschen im Pool, Hunden dösen im Schatten, und der nächste kühle Drink ist wichtiger, als das nächste gute Argument.

Seitdem sind zwei Jahre vergangen, und ich beginne zu ahnen: Der Mann mit den vielen Angestellten hatte Recht, jedenfalls ein bisschen. Mittlerweile habe ich mich an die Anwesenheit von Personal gewöhnt und daran, unter ständiger Beobachtung zu sein.

Schlurfe ich morgens schlaftrunken hinaus, um die Schale für die Katze mit Futter zu füllen, steht dort der Wächter, mit dem ich das erst Wetter diskutiere und dann, warum es der Katze denn heute schon wieder nicht schmeckt. Lasse ich mich dann mit meinem eigenen Frühstück nieder, winkt mir der Gärtner zu, der, gefolgt vom gelangweilten Wächter, in Gummistiefeln am Fenster vorbeischlappt. Schließlich klappert es an der Küchentüre, die Putzfrau tritt ein und wünscht guten Morgen.

Nur an manchen Tagen wird mir das alles zu viel. Dann nehme ich sämtliche Mahlzeiten, Snacks und Kaffees im Arbeitszimmer ein. Natürlich ist auch dieses von außen einzusehen, doch der Schreibtisch verschafft mir Respekt. Jeder, der sich dem Fenster oder Tür nähert, tut dies unter demütigsten Entschuldigungen für die Störung, aber am Tor sei jemand, ein Baum hänge in den Stromleitungen oder die Termiten hätten wieder einmal den Stützpfeiler der Pergola attackiert. Sicherlich hätte ich dafür jetzt keine Zeit, denn vor lauter Arbeit müsste ich ja schon am Schreibtisch essen. Ich schlucke dann schnell hinunter und sage dazu mal nichts.