Eindeutschung mit Hindernissen

Auf der Suche nach einem gebrauchten Kindersitz fürs Auto durchqueren Bb und ich bei schönem Wetter den Taunus. Sanfte Hügel, flach eingrätschende Spätwintersonne, grün-gräuliches Gras und stille, kahle Bäume. Halb nach hinten gewendet sage ich, „Bb schau‘ mal, ist das nicht schön?!“ Ganz entspannt dreht sie den Kopf vom Fenster zu mir und erwidert, wobei sie die unpräzise Alltagssprache ihrer Eltern eins zu eins anwendet: „Da war mer schon.“

Soso. War mer schon? Bei einem deutschen Adoptivkind hätte ich das ja noch angehen lassen. Da hätte die Möglichkeit bestanden. Theoretisch. Vielleicht. Irgendwie. Doch bei Bb? Aus Kenia? 8000 Kilometer Richtung Südsüdost. Keine Chance. Höchstens per Seelenwanderung.

Apropos Wanderung, und im speziellen: Einwanderung. Neuzugezogene müssen sich hierzulande ja anmelden. So fielen wir vor ein paar Tagen zu dritt im Meldeamt unserer nunmehr kleinen hessischen Stadt ein. Der Sachbearbeiter klickte eine Weile ratlos in seiner Datenbank umher. Dann holte er sich bei einem Kollegen Rat.

Die beiden führten ein technisch klingendes Fachgespräch. Obwohl wir sehr gut sichtbar auf der anderen Seite des Schreitisches saßen, traten wir darin weniger als Menschen denn als Datenklötzchen auf, die irgendwie in das System hinein bugsiert werden mussten.

Es entspann sich in etwa der folgende Dialog.

Sachbearbeiter A: „Wie machen wir das denn jetzt? Das Kind gibt es ja noch gar nicht. Und verheiratet sind die ja auch nicht.“

E. versuchte über die Tischplatte hinweg einzuwerfen, dass wir sehr wohl verheiratet wären, und das schon seit Jahren. Doch A. winkte ab: „Das kann schon sein, aber hier drin sind Sie’s nicht.“

Zu seiner bzw. zur Entschuldigung des Systems muss ich hinzufügen, dass E. uns vorausgereist war und sich schon ein paar Wochen zuvor in der kleinen Stadt angemeldet hatte.

Offenbar als Single.

„Hm…?“, dachte ich.

Sachbearbeiter B unterbrach meine Gedanken: „Na, dann ist die Sache ja klar“. Er klickte. „Erst müssen die beiden heiraten“. Dann klickte er hierhin, dahin und schließlich irgendwo dorthin. Ich stelle wieder einmal fest, wie seltsam es sich anfühlt, wenn in meinem Leben herumgeklickt wird.

Sachbearbeiter A: „Aha, aahaaa. Ich sehe schon. Jetzt wird das was. Jetzt müssen wir nur noch ihn zuziehen lassen. Dabei deutet er eher unbewusst auf mich. Er klickte hierhin, dahin und dorthin. „So, jetzt ist er also auch da.“

Zufrieden blickte er auf sein Werk. Dann auf uns. Er sah die ungeduldig zappelnde Bb auf meinem Schoß.

„Ach herrje, da ist ja auch noch das Kind! … Was machen wir denn da? … Das Kind gibt es ja gar nicht.“

Hier war mer also noch nicht gewesen.

Damit meinte der Sachbearbeiter vermutlich, dass Bb, die nun einmal in Kenia geboren worden war, noch nicht existiere, jedenfalls nicht als deutscher Datensatz. Denn sie existierte zurzeit sogar sehr akut und nahm aus Langeweile den kleinen Tisch auseinander, auf dem die Broschüren lagen. Gelegen hatten. Jetzt lagen sie darunter.

Sachbearbeiter B. sah die Sache wieder ganz pragmatisch: „Ist doch klar. Wir müssen das Kind erst einmal gebären, also, äh, auf die Welt kommen lassen.“

Das schien mir jetzt aber eine große Sache. Eigentlich sogar eine gewaltige Sache. Nicht so fürs Einwohnermeldeamt. Denn der Sachbearbeiter klickte hierhin, dahin und dann dorthin, und schon war Bb geboren. Sie existierte. Ich war fast so gerührt, wie am ersten Tag.

Die beiden Sachbearbeiter sahen sich auf der Zielgeraden: „Also, jetzt noch das Kind zuziehen lassen“, sagte B.

A fixierte uns: „Aber wer sagt uns denn, dass das ihr Kind ist?“

E. legte ihren eigenen Pass und Bbs Kinderreisepass auf den Tisch und sagte: „Sehen Sie, die Kleine trägt meinen Namen.“

Doch jetzt kannte der Scharfsinn des Sachbearbeiters keine Grenzen: „Und wenn sie nun die Schwester sind?“

Wir mussten an einem anderen Tag noch einmal vorsprechen, und dem Mann das Gerichtsurteil vorlegen, das beweist, dass wir die Eltern und Bb unser Kind ist.

Danach waren wir auch im Sinne der Einwohnermeldedatenbank endlich wieder eine Familie.