Lob des stationären Handels. Wieder nicht.

Ich kann es einfach nicht lassen. Nach dem großartigen Einkaufserlebnis bei Baby-Walz in der Frankfurter Innenstadt, startete ich eine neue Offline-Mission: Ein Kindersitz fürs Fahrrad plus Schutzhelm sollten es sein. Anvisierte Einkaufsquelle war diesmal Zweirad Müller im einem nahegelegenen Gewerbegebiet. Parkplatzprobleme waren immerhin nicht zu erwarten.

Nach Betreten des Ladens wurde ich freudig begrüßt. Kindersitze hätten sie. Hatten sie auch. Genau ein Modell. Glücklicherweise wollte ich genau das haben. Bb setzte sich hinein, Sitz passte, alles gut.

Auch Helme waren vorrätig. Auf einem Regal waren sie aufgereiht wie Trophäen einer seltsamen Jagdgesellschaft. Eines einte alle: Sie waren sehr, sehr hässlich. Das hatte ich schon bei meiner Online-Recherche zum Thema gesehen und dabei die Marke Nutcase entdeckt, deren Design mir gut gefiel. Außerdem hatten sie gute Bewertungen von Kunden wie auch von Testern erhalten. Also fragte ich danach.

Wie die Marke nochmal hieße, fragte Verkäuferin. Ich wiederholte den Namen. Nein, kenne sie nicht.

Das sei aber seltsam, sagte ich, denn im Internet…

Oh, Gott. Ich hatte das böse Wort gesagt. Wie gedankenlos von mir. Hätte ich doch behaupten können, einen dieser Helm bei einem Freund von Bb gesehen zu haben. Aber es war zu spät. Die Verkäuferin reagierte wie Steve Martin in dem Film „Tote tragen keine Karos“ auf das Wort „Cleaning woman” (Putzfrau).

Wenn ich mich richtig erinnere, erklärt Steve danach, dass sein Vater seine Mutter wegen der Putzfrau verlassen habe. Daher das Trauma.

Mit den Preisen im Internet könne man nicht mithalten, sagte die Verkäuferin. Man sei ja schließlich ein Fachhandel. Ich wandte ein, dass ich gar nichts über den Preis gesagt, sondern nur nach der Marke gefragt hatte. Und um ihr glaubhaft zu vermitteln, dass ich von ihr nicht erwartete, Helme einer nordkoreanischen Hinterhoffirma zu verkaufen, setzte ich hinzu, diese hätten außerdem vergangenes Jahr bei Stiftung Warentest…

Ohgottogott. Jetzt hatte ich das zweite böse Wort gesagt. Musste das denn wirklich sein? Nun wechselte die Verkäuferin von Schnappatmung zu Sarkasmus und sprach die Worte, zu enden jedes lästige Kundengespräch über Tests von Produkten die man nicht kennt, nicht hat oder nicht will: Alles nur Schwindel, das sei seit dem ADAC-Skandal ja wohl jedem klar.

Passen müsse der Helm. Das sei das Wichtigste.

Ich nickte zustimmend und hub zu sagen an, wie schön es wäre, wenn der Helm nicht nur gut passe, sondern auch gut gefiele. So wollte ich eine Brücke bauen, die uns aus der Welt der Verschwörungstheorien wieder zurück in den Verkaufsraum von Zweirad Müller führen sollte.

Doch sagte sie, wenn man den Helm aber Internet bestellte, könnte man natürlich nicht sicher sein, dass er richtig passe.

Nur fünf Minuten in einem Fachgeschäft hatten mich moralisch zu Boden geschmettert. Erst hatte ich mich durch die Erwähnung von Böses Wort I „Internet“ als Geizhals und Verräter verdächtig gemacht, dann durch Böses Wort II „Warentest“ als Depp entpuppt, der offenbar Lügen (vielleicht sogar die der so genannten Lügenpresse?) glaubte.

Wie einfach war dagegen Kenia gewesen. Dort gab es kaum ernstzunehmende Fachgeschäfte und nur rudimentären Online-Handel und in beiden oft nur billigen Mist aus China.

War etwas in einem Laden nicht vorhanden, schüttelte der Verkäufer entweder bedauernd den Kopf oder schrieb sich meine Telefonnummer auf mit dem Versprechen, sich zu erkundigen und mich zurückzurufen. Unzählige Male habe ich meine Telefonnummer hinterlassen. Niemals hat mich ein Verkäufer zurückgerufen. Ein lustiges Spiel.

Wer Qualität wollte, bestellte in Europa online und ließ die Waren auf etwas undurchsichtige Weise von einem von Somaliern betriebenen Transportunternehmen importieren. Oder wartete darauf, dass irgendein Europäer das Land verließ und seine gebrauchten Sachen verkaufte. Auch uns waren vor unserer Abreise Kinderwagen, Autositz, Waschmaschine und Kühlschrank buchstäblich aus den Händen gerissen worden.

Ich war aber nicht mehr in Kenia, sondern in einem deutschen Fachgeschäft und bereute es schon wieder sehr. Ich ließ die Helme hängen und kaufte, weil ich nun schon einmal dort war, den Sitz.

Die Verkäuferin holte den, den wir zuvor probiert hatten. Er war ziemlich schmutzig, irgendwie verkleckert. Ich fragte, ob es denn keinen Neuen gäbe. Nein, nur den. Außerdem sei die Originalverpackung hässlich. Mit diesem seltsamen Argument ließ sie mich stehen und ging zur Kasse. Ich schleppte ihr den Sitz quer durch den Laden hinterher, bezahlte und ging.

Einen Helm fand etwas später ich bei Per Pedale in Frankfurt, allerdings keinen von Nutcase. Die wollten trotz theoretisch richtiger Kopfgröße nicht passen.

Bei einer Gemüse-Lasagne, die Bb und ich uns in einem Straßencafe teilten, zog ich ein Fazit dieser zweiten Offline-Shopping Aktion. Hätte ich das alles online erledigt, hätte ich:

  • Mich nicht gegen die Unterstellung verteidigen müssen, mit dem Internet den Preis drücken und damit den Fachhandel zerstören zu wollen;
  • Mich nicht mit Totschlagsargumenten für dumm verkaufen lassen müssen;
  • Mich also nicht als Verräter, Pfennigfuchser und Depp fühlen müssen;
  • Ein fabrikneues, sauberes, originalverpacktes Produkt vom Postboten bis an die Türe gebracht gekommen;
  • Die Helme mehrere Anbieter bestellen, probieren und die unpassenden wieder zurückschicken können (was etwas unfair gegenüber Per Pedale wäre, denn dort hat sich der Verkäufer sehr geduldig um uns gekümmert).

Später am Nachmittag kam noch hinzu, dass (aber das ist jetzt reine Spekulation) sich in der Originalverpackung des Fahrradsitzes vielleicht ein Hinweis darauf befunden hätte, wo die Montageanleitung versteckt ist. Nämlich hinter einer Klappe auf der Unterseite des Sitzes selbst. Das entdeckte ich aber erst nach einer Viertelstunde freier Improvisation, während der ich den Sitz ratlos drehte und wendete.

Ein entsprechender Hinweis war offenbar auch zu viel verlangt.

Dafür war der Fachhandel viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.