Fast nichts ist so schwierig wie die Wahl des Namens fürs eigene Kind. Egal, wie man sich entscheidet, der Name wird Verrat üben. Verrat an der eigenen Herkunft, an den eigenen Wünschen, am eigenen Glauben daran, was cool oder nicht cool, traditionell oder modern, angebracht, ausgewogen oder radikal ist. Wenn dann noch, wie jüngst in Kenia, ein Standesbeamter hinzukommt, der den gewünschten Namen falsch versteht, geht es für das bedauernswerte Kleine nicht gut aus.
Als Halbwüchsiger stand ich vor den Werbeplakaten zum Kinofilm „Caligula“, die in den Schaukästen des Gloria-Palastes meiner kleinen, schwäbischen Heimatstadt aushingen. Ausschweifungen nie zuvor gesehenen Ausmaßes hatte meine Kinozeitschrift versprochen, und mich beschäftigte deshalb nur eine Frage: Wie komme ich da rein? Zur Ehrenrettung des Gloria-Palastes und zu meiner eigenen Schande muss ich zugeben: Ich habe es nicht geschafft. Trotz frühen Bartwuchses und persönlicher Bekanntschaft mit der Kartenverkäuferin musste ich leider draußen bleiben.
So blieb Caligula nicht nur als Restbestand des Lateinunterrichts in meiner Erinnerung hängen, sondern auch als kleiner Schandfleck eines gescheiterten, pubertären Betrugsversuchs. Vielleicht fand ich es deshalb bemerkenswert, dass einige Jahre später Eltern ihren Sohn Caligula nennen wollten, doch von einem wehrhaften Standesbeamten davon abgehalten wurden. Wenig später durften Eltern, trotz heftiger Gegenwehr von Amtes wegen, ihren Sohn Pumuckl taufen. Ob es eigentlich viele in den 1960er Jahren geborene Jungs gibt, die Winnetou oder Tarzan, Flipper oder Lassie, Hoss oder Spock heißen?
Neulich, anlässlich einer Runde in einem italienischen Restaurant in Nairobi, fragte ich D., eine Kollegin von E., wie sie denn ihr in Kürze erwartetes Kind nennen wollte. Dabei lernte ich, dass dies bei manchen Eltern ein bis zum Schluss gut gehütetes Geheimnis ist. Immerhin aber brachte uns meine Frage auf Babynamen im Allgemeinen, ein Thema, das sich ganz wunderbar für einen unterhaltsamen Abend eignet.
Die Gründe, wie, wann und warum Kindernamen vergeben werden, sind vielfältig und ein nahezu unerschöpflicher Quell an Anekdoten. Ich kannte mal einen Möbelhausbesitzer im Bayerischen, der vier Töchter hatte. Pragmatisch, wie der Mann nun einmal war, wählte er die Vornamen seiner Töchter nach dem Alphabet, in der Reihenfolge ihrer Geburt, beginnend mit „A“.
Ein Jugendfreund erläuterte mir einst, dass er die beiden Namen für seinen Sohn unter zwei Gesichtspunkten ausgewählt hatte: Sie mussten sich gut abkürzen lassen und international gut klingen. Deshalb hieß sein Sohn schließlich wie eine sehr lustige Comic-Serie aus den späten 80er Jahren: Sam & Max.
Michaels sind meist Babyboomer, der Name ist total out. Kevins traten vermehrt nach dem Film über den gleichnamigen Jungen auf, den seine Eltern zuhause vergessen hatten. Sandys und Mandys sind eher im Osten der Republik zuhause und ganz traditionelle deutsche Namen, wie Karl, Paul, Anna und Sophie, wieder ganz groß in Mode.
Manche Namen klingen in Verbindung mit einem kernigen, bayerischen Nachname ganz besonders apart, zum Beispiel Chantal Jacqueline Cheyenne Dimpfelmoser. Falls sich jemand wundert oder angesprochen fühlt: Die Vornamen wurden in dieser Reihenfolge wirklich vergeben, der Nachname stammt aus „Räuber Hotzenplotz“. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sollten also rein zufällig sein.
Ein vom arabischen Frühling bewegter Ägypter nannte seine Tochter im Frühjahr 2011 „Facebook“. Auch in England ist man Markennamen gegenüber offen und darf sein Kind auch „Ikea“ taufen; sehr schön, wenn die Geschwister dann Billy, Poäng oder Klippan hießen. Der Vorname Adolf, um 1890 in Deutschland sehr beliebt und 1933 noch viel beliebter, ist seit 1945 verschwunden. Dafür soll es in den USA Neonazi-Eltern geben, die ihrem Sohn nicht nur den Vor-, sondern auch den Zunamen des Führers verpasst haben.
Ganz ähnlich ging es im kenianisch-italienischen Restaurant weiter: Im Bekanntenkreis von D., der werdenden Mutter, gibt es eine kenianische Haushälterin, die ihren neugeborenen Sohn „Sterling“ nennen wollte. Haha, johlten wir zunächst, ein Name wie eine Währung, und wenn er sich vorstellt, dann sagt er: „Mein Name ist Sterling, Pfund Sterling.“ Beschämt musste ich später nach einer kleinen Recherche feststellen, dass Sterling ein Klassiker unter den Jungs-Vornamen ist und 2011 in den USA immerhin auf Platz 885 der Vornamen-Statistik geführt wird.
Klassisch oder nicht, wenn die Namenstaufe schiefgeht, hilft alles nichts. Es ist nicht überliefert, was genau geschah. War der Standesbeamte vielleicht betrunken, oder litt er an einer Mittelohrentzündung? Die Familie sagte ihm den gewünschten Namen, er hörte und nickte. Dann nahm er die Geburtsurkunde, beschriftete und stempelte sie – offenbar unwidersprochen von Vater, Mutter, Onkels, Tanten, Großeltern, oder wer sonst noch gerade in der Nähe war – mit dem Namen, den er verstanden hatte: Stalin.