Da ist er wieder, der Koller. Ich muss raus, und wenn nur für ein paar Tage. Zum Beispiel ins benachbarte Ausland. Mal was anderes sehen. Frische Luft schnappen. Aber wohin? London, Paris, Rom? Eher Daressalam, Kampala, Mogadischu. Oder Khartum. Genau. Frische Luft schnappen in Khartum.
Weil ein Freund dort wohnt, fällt meine Wahl auf die sudanesische Hauptstadt, etwa 2000 Kilometer nördlich von Nairobi, mit einem Direktflug gut erreichbar. Gedacht, gebucht, gebongt. Natürlich brauche ich ein Visum, erhältlich in gut sortierten Botschaften oder Konsulaten.
Schnell gegoogelt: Sudan Embassy Nairobi. Schnell gewundert. Die Botschaft gibt es nicht. Das heißt: Gibt es schon, aber die Adresse ist veraltet. Sagt jedenfalls irgendein Australier in seinem Reise-Blog. Die Botschaft sei nun irgendwo anders in Nairobi. Leider sagt er nicht, wo.
Immerhin gibt es Telefonnummern. Drei Stück. Keine funktioniert. Das fängt ja gut an. Als voll digitalisierter Mensch schicke ich nun Mails in alle Richtungen. Aber keiner weiß es. Frage sogar die sudanesische Botschaft in Berlin an. Vielleicht wissen die ja, wo ihre Kollegen stecken.
Die Adresse haben sie nicht, aber immerhin Telefonnummern. Mittlerweile habe ich acht. Probiere alle, keine funktioniert. Vielleicht haben die Sudanesen die Telefonrechnung nicht bezahlt. Dann, viel später, ich habe schon fast aufgegeben, erreicht mich eine SMS, wie in einem Agenten-Thriller. Inhalt: ein Straßenname und „viel Glück“.
Ich versuche es, also mein Glück, und finde nach nur 45-minütiger Fahrt die Botschaft. Anders als viele andere Botschaften, vor denen sich lange Schlangen bilden, ist sie, von den Angestellten abgesehen, menschenleer.
Trete vor einen Schalter, der von einer schaufenstergroßen Panzerglasscheibe geschützt ist. Guten Tag. Der Botschaftsangestellte schaut mich wortlos durchs Glas hindurch an. Entdecke einen winzigen Schlitz am unteren Ende der Scheibe. Beuge mich hinab, schiebe fast meinen gespitzten Mund hindurch: „Guten Tag, ich hätte gern ein Visum in den Sudan“.
Was ich da will. Ich bin Tourist, sage ich, und will die Pyramiden sehen. Meine Recherchen haben nämlich ergeben, dass es auch im Sudan Pyramiden gibt, in denen seit über 2000 Jahren die Monarchen- und innen des Kush-Reiches begraben liegen.
Oh, sagt der Botschaftsangestellte, da sind sie bei uns aber falsch. Sicherlich wollen Sie nach Ägypten. Im Sudan gibt es keine Pyramiden. Bin verwirrt. Verlege mich aufs Verhandeln. Vielleicht nennen Sie sie ja anders, wende ich ein, aber was ich sehen will, sieht aus wie Pyramiden. Dabei zeichne ich mit den Händen in der Luft die Form nach. Schweigen auf beiden Seiten der sehr dicken Glasscheibe.
Ob Pyramiden oder nicht, das Visum kann ich am nächsten Tag abholen.
Fast forward >>
(1) Fahre nachhause. Erzähle meinem Tagwächter, wie ich die sudanesische Botschaft fast nicht gefunden hätte. Ruft er, hah, da hätte ich ihn mal fragen sollen. Die ist doch in der – nennt den korrekten Straßennamen. Ein Wächterkollege hätte da mal gearbeitet.
(2) Am nächsten Tag im Suaheli-Unterricht. Erzähle die Geschichte dem Suaheli-Lehrer. Ruft er, hah, da hätte ich mal ihn fragen sollen. Die ist doch in der – nennt den korrekten Straßennamen. Er hätte der Frau des sudanesischen Botschafters mal Suaheli-Unterricht gegeben.
(3) Am Tag der Abreise im Taxi. Erzähle der Taxifahrerin die Geschichte. Ruft sie, hah, da hätte ich sie mal fragen sollen. Die ist doch in der – nennt den korrekten Straßennamen. Sie führe da ständig Leute hin.
Moral: Das nächste Mal, wenn ich in Nairobi etwas suche, gehe ich auf die Straße und frage den Erstbesten, der mir über den Weg läuft. Er wird es wissen, da bin ich mir sicher.