Sicherheit in Nairobi: Die Paranoia wächst schneller als eine Bananenstaude in der Regenzeit. Wer zuhause so vollvergittert lebt, dass sogar die Katze glaubt, bei Menschen sei Käfighaltung üblich und beim Einkaufsbummel im Supermarkt am Eingang durch einen Scanner wie am Flughafen gehen muss, der kauft auch Sicherheitskameras und Handfunkgeräte.
Genau das habe ich bei meinem jüngsten Aufenthalt in Deutschland getan. Ich lustwandelte in Frankfurt über die Zeil, ließ mich von der Menschenmasse vor und zurück treiben und stand plötzlich vor dem Schaufenster von Conrad Elektronik, dem Erotik-Shop des Hobbybastlers. Da erinnerte mich an ein Gespräch mit unserem Wächter Collins, der mir die Anschaffung eines Walkie-talkies empfohlen hatte, und kaufte zwei Funkgeräte.
Weil ich gerade dabei war und so etwas schon immer mal haben wollte, warf ich noch eine Sicherheitskamera mit Bewegungsalarm in den Einkaufskorb. Die Kamera hängt nun in unserem Wohnzimmer und ist auf die Zwischentüre zwischen Wohn- und Schlaftrakt gerichtet. Dank des Weitwinkelobjektives ist am unteren Rand auch das Sofa noch zu erkennen. Wenn es also nachts einmal draußen rumpeln und krachen sollte, schaue ich per Handy-App, was im Wohnzimmer geboten ist und ob vielleicht gerade die Möbel abtransportiert werden.
Einbrecher in Kenia haben leider eine ganz andere Vorgehensweise, als Einbrecher in Deutschland. Während letztere es eher bevorzugen, die Bewohner eines Hauses beim Einbruch nicht anzutreffen, legen die Kenianer großen Wert auf den persönlichen Kontakt. Ist ja auch klar: Bevor ich als Dieb die Geheimnummern für Safe und Kreditkarte umständlich rate, frage ich doch einfach der Besitzer. Das spart jede Menge Zeit und Mühe.
Nun leuchten also nachts die fiesen roten Äuglein der Kamera von der Decke. In der Dunkelheit schaltet sie auf Infrarot um. Die Bilder, die übers WLAN übertragen werden, wirken nun vollends geisterhaft. Die Kamera hat auch einen eingebauten Lautsprecher. Ich könnte nun der auf dem Sofa mehr liegenden als sitzenden E. über die Handy-App zurufen, die Füße beim Fernsehen doch bitte nicht auf den Wohnzimmertisch zu legen. Aber das würde ich nie tun. Schließlich habe ich die Kamera nicht zum Spaß angeschafft, auch wenn E. hier vehement widersprechen würde.
Ab Mitternacht habe ich den Bewegungsalarm der Kamera aktiviert – mit großem Erfolg. Treibt es mich beispielsweise gegen halb Eins noch einmal zum Kühlschrank, höre ich, kaum dass ich durch die Sicherheitstüre getreten bin, ein Pling in meinem Handy. Dann weiß ich, dass nun die Kamera fünf Aufnahmen im Abstand von etwa einer Sekunde von mir gemacht und mir per Mail zugeschickt hat. An der Schlafzimmertüre meiner Eltern konnte ich mich früher auf dem Weg zur Schokolade nachts vorbeischleichen. Hier unmöglich. Weight-Watchers mal zu Ende gedacht.
Ja, und die Funkgeräte. Eines habe ich vor einigen Tagen Collins in die Hand gedrückt. Wir standen auf dem Garagenvorplatz. Er freute sich riesig und sagte seinen üblichen Satz “das haben Sie aber gut gemacht, Sir”, wenn er fand, dass ich etwas gut gemacht hatte. Dann klemmte er sich mit geübtem Griff das Gerät professionell an seinen Uniformgürtel. Gleich hatte ich einen ganz anderen Menschen vor mir: keinen einfachen Wächter mehr, sondern jetzt einen Wächter mit Zubehör.
Sodann wies er mich in die Handhabung des Gerätes ein. Collins war früher Soldat in der kenianischen Armee und hat offenbar dort auch eine Ausbildung im Funken genossen. Deshalb erklärte er mir einfachen Zivilisten mit ernster Miene, dass sein Rufname ab sofort “Alpha Charlie” sei und meiner “Sierra”. Natürlich musste ich ihn fragen, warum. Nur zu gerne erläuterte er, dass “A” für “Askari” (Kisuaheli für Wächter oder Soldat), “C” für Collins und “S” für Sir stünden. Im Ernstfall, also beispielsweise unter Artilleriebeschuss, sei es besser, sich nur noch mit den Anfangsbuchstaben zu verständigen, als mit missverständlichen, langen Worten.
Mit diesem neuen Wissen, einem Funkgerät am Gürtel und in ständiger Erwartung im Gemüsegarten einschlagender Granaten ging ich zurück ins Arbeitszimmer. Am späten Nachmittag, zu der Zeit, an der üblicherweise Collins ums Haus gelaufen kommt, an mein Fenster klopft und fragt, ob ich vorhätte in den nächsten zwanzig Minuten das Haus zu verlassen oder er nun duschen könne, krachte und rauschte es plötzlich in meinen Funkgerät. Es klang genauso, wie sich solche Geräte in Action-Filmen anhören und sagte “Alpha Charlie for Sierra, proceeding to Kilo Delta for Mike. Confirm.”
Völlig unprofessionell meldete ich mich im Klartext zurück und fragte: „Wie bitte?“. Collins setzte erneut einen ähnlichen Funkspruch ab. Ich verstand wieder kein Wort und fand die Nachfragen mit Krachen und Rauschen doch umständlich. Auf die Gefahr hin, in eine Falle kenianischer Räuber zu laufen, vor denen mich Collins möglicherweise mit Geheim-Code hatte warnen wollen, ging ich nach draußen. Ich fand ihn vor der Küchentüre. Was denn das solle mit dem „Kilo Delta“ und dem „Mike“, wollte ich wissen. Und ob denn ein Ernstfall vorliege.
Auflösung wie folgt:
- Ernstfall? Nein.
- Kilo Delta = Kitchen Door (Küchentüre)
- Mike = Milk (Milch)
Jetzt in einem Satz: „Wächter Collins an den Chef. Ich gehe zur Küchentüre, um meine Milch abzuholen. Bitte bestätigen.“
Und was habe ich mit Collins‘ Milch zu tun?
Er kauft sich täglich eine kleine Ration in einer Plastiktüte von vorbeikommenden Händlern und füllt sie in eine der leeren Cola-Flaschen um, die unsere Putzfrau aufbewahrt. Nebenbei bemerkt, trinke ich regelmäßig Cola, seit ich mich auf dem afrikanischen Kontinent aufhalte, vorher eher selten. Die Putzfrau stellt die Cola-Flasche mit der Milch in unserem Kühlschrank, verlässt gegen 15 Uhr das Haus. Collins hat gegen 18 Uhr Dienstschluss und will dann seine Milch mit nachhause nehmen. Der Kühlschrank steht in der Küche. Die Küchentüre ist abgeschlossen.
Und so wäre auch die Frage beantwortet, wie die weiße Flüssigkeit in die Cola-Flasche kommt.