Lieber Markus,
verglichen mit Dir geht es uns klimatisch zurzeit recht gut. Bei lächerlichen 30 Grad und 70 Prozent Luftfeuchtigkeit ist es hier geradezu winterlich. Das viele Wasser in der Luft verhindert wohl die Selbstentzündung in Moskauer Ausmaßen. Auch keine Zigarettenstummel weit und breit, denn in Ghana raucht so gut wie niemand. Dennoch liegt ständig Brandgeruch in der Luft. Und Schuld hat, wie immer, der Gärtner.
Das Erstaunen ist schon etwas länger her, mir aber noch recht gut in sensorischer Erinnerung. Wir waren frisch eingezogen und hatten uns widerstrebend daran gewöhnt, sämtlichen Müll in eine, wirklich nur eine einzige Mülltonne zu werfen. Dem auf Mülltrennung konditionierten Menschen geht es dabei so wie Alex in A Clockwork Orange: Er kann es nicht, die Hände zittern, es wird ihm schwarz vor Augen und übel in der Magengegend. Dennoch taten wir es.
Schwamm drüber, oder vielmehr: Deckel zu. Wir hatten ja keine Ahnung, wie schnell die Rache auf diese Umweltsünde folgen sollte. Als der inhäusige Eimer war voll, trugen wir die Tüte zu unserer Otto-Mülltonne. Übrigens hätte ich nie gedacht, dass ich dereinst Markennamen von Mülltonnen auswendig wissen würde. Doch bei meinen ersten Einkäufen hier musste auch eine Tonne her. Der ghanaische Fachverkäufer schwor darauf, dass die Qualität des deutschen Herstellers Otto die der lokalen und chinesischen Konkurrenz bei weitem überträfe.
Also übergaben wir den Müll an Otto. Zu treuen Händen. Unterbewusstsein flüsterte, unterlegt von Easy Listening, Bert Kaempfert oder so: „Prima, alles erledigt, überlasst den Rest mir“. Wir wackelten zurück ins Wohnzimmer. Es war Abend, heiß, die Fenster waren weit geöffnet, wir hofften auf Durchzug und frische Luft. Dann begann es zu riechen, später zu stinken. Giftige Schwaden zwängten sich erst durch die Moskitonetze und dann durch die Gitterstäbe, die vielleicht Einbrecher, keinesfalls jedoch Rauch abhalten können.
Waren wir am Ende in die Nähe eines Industriebetriebes gezogen? Wir begannen an der Wahl des Hauses zu zweifeln. Schließlich ging ich in den Garten, immer mit der Nase dem Gestank nach, bis hinter das sogenannte „Staff Quarter“, wo die Angestellten des Hauses üblicherweise wohnen. Dort brannte ein lustig qualmendes Feuer. Unser Müll verbrutzelte, auf einem großen Haufen, mit Zeitungen, Plastikflaschen, Tüten, Joghurt-Becher, Konservendosen, CD-Hüllen, Batterien, einfach allem. Daneben, horrormäßig flackernd beleuchtet, der Gärtner.
Selbstverständlich geboten wir dem schändlichen Treiben sofort Einhalt. Am nächsten Tag wurde eine Entsorgungsfirma angeheuert, die nun jeden Montag im Laufe des Tages den Müll abholt. Als die Müllmänner einmal erst dienstags kamen, wurde unsere Tonne, die schon vor dem Haus stand, in der Nacht geklaut.
Otto da draußen allein zu lassen war wahrscheinlich so dumm, wie in Moskau einen BMW X5 offen herumstehen zu lassen. Vermutlich wurde er von einem internationalen Mülltonnenschieberring über die Grenze nach Nigeria gebracht. In Ghana wird eigentlich jedes Verbrechen den Nigerianern in die Schuhe geschoben. Ein neuer Otto wurde beschafft, und darf nun nur tagsüber ‘raus. Sollten die Müllmänner einmal nicht kommen, muss er bei Einbruch der Dunkelheit wieder ‘rein.
Dass wir unserem Gärtner die Müllverbrennung verboten haben, hat die Situation nur teilweise verbessert. Auch die Nachbarn ringsherum verbrennen ihre Reste gerne, besonders dann, wenn der Wind nicht in Richtung ihres, sondern unseres Hauses weht. Diese böswillige Unterstellung mag natürlich auch auf die übliche, global verbreitete Nachbarschafts-Paranoia zurückzuführen sein. Böswillig, oder nicht, das Resultat ist dasselbe: es stinkt.
Was wir natürlich auch nicht wissen: Wohin transportieren die Müllmänner ihre Fracht und was geschieht dann damit? Fachmann Otto weiß es vielleicht. Doch der schweigt.