Lieber Markus,
unlängst sitze ich im Frankie’s in Accra und genehmige mir einen Kaffee. Das an sich wäre ja noch nichts besonderes, wenn der dort nicht so kräftig wäre. Er ist stark, sehr stark, so stark, dass ich jedesmal befürchte, er könnte sich durch die Wand der Tasse fressen. Vielleicht liegt es an der aufputschenden Wirkung des Getränks, jedenfalls springe ich nach Genuss desselben auf und verlasse das Lokal hektisch in Richtung Oxford Street. Dabei vergesse ich auf dem Tisch gleich zwei Mobiltelefone.
Die Oxford Street ist die Einkaufsstraße in Accra. In gewissem, die Realität leicht überhöhenden Sinne ist sie sogar eine Fußgängerzone, denn der stets herrschende Stau zwingt die Masse der klapprigen Taxis, überfüllten Kleinbusse und protzigen Geländewagen zur Schrittgeschwindigkeit. Tatsächlich ist sie aber eine ganz und gar fußgängerfeindliche Umgebung, weil sich die Unglücklichen auf dem schmalen Grat zwischen überfüllter Fahrbahn und offener Kanalisation mühsam an der Seite die Straße entlang hangeln müssen.
Das Frankie’s liegt auf der einen Seite und auf der anderen PC-Direct, ein kleiner Laden, der unter anderem auch Druckertoner verkauft. Dorthin will ich. Noch einmal atme ich tief durch, und dann los. Raus aus dem tiefgekühlten Lokal, die Treppe hinunter, wo die ersten Hindernisse auf mich warten: Erst rauben einem 32 Grad Celsius und 85 Prozent Luftfeuchtigkeit den Verstand, dann eine kleine gemischte Wolke aus Abgasen und Brodem aus der Kanalisation den Atem.
Dahinter der Parcour der Straßenverkäufer: Gleich nach dem Ausgang eilen zwei mit den Rufen „Taxi, Taxi?“ auf mich zu. Als Schikane hält mir von links einer Ledergürtel unter die Nase. Ich mache einen Ausfallschritt, weise dabei die Taxi-Jungs auf das Vorhandensein eines eigenen Wagens hin, und versuche zwischen zwei geparkten SUVs zu entkommen. Plötzlich versperrt ein Sonnenbrillenverkäufer den Weg. Sackgasse. Ich täusche links an und laufe rechts vorbei. Doch dort steht bereits die Frau mit dem Lebensmittelberg auf dem Kopf und will mir Nüsse verkaufen. Hinter ihr trägt einer frischen Fisch in einer Blechschale durch die Open-Air-Sauna.
Während ich beide zügig und fehlerfrei passiere, baut sich vor mir der DVD-Verkäufer auf. Er bietet die neuesten Filme feil, in denen erstaunlicherweise ab und zu jemand aufsteht und durchs Bild aufs Klo geht. Sie sind mit der Kamera von der Leinwand abgefilmt. „Good quality“, murmelt er und zeigt mir eine Mischung, für deren Zielgruppe er mich hält: Porno und Action. Wir kennen uns schon. Ich frage dann immer, ob er auch Disney-Klassiker hat, Bambi und so. Lachen dann beide. Der Uhrenverkäufer ist nicht schnell genug gewesen und muss wohl Taktik und Fußarbeit optimieren.
Speed-Shopping: Angebot und Nachfrage treffen sich hier innerhalb von 30 Sekunden, oder auch nicht. Ich erreiche den dieseitigen Straßenrand, ohne etwas gekauft zu haben. Frankie’s ist hinter mir, PC-Direct vor mir. Vorsicht vor Taschendieben, die den Rucksacktouristen vom fahrenden Motorrad aus schnell zum Touristen ohne Rucksack machen. Auch auf fehlende Gitter der Kanalisation achten. Über die Löcher Richtung stehende Wagenkolonne springen, mich zwischendurch quetschen, dankend winken – Achtung Gegenfahrbahn! Hier dasselbe Spiel, Taxis ignorieren, die hupend auf vakante Sitze aufmerksam machen, quer über den kleinen Parkplatz, dem Wächter zunicken, durch die Tür, geschafft.
Stehe eine Weile im Laden und warte darauf bedient zu werden. Einer spricht mich an. Ob ich meine Mobiltelefone vermisse? Ich schaue nach. Ja, vermisse ich, schmerzlich. Wo sie denn seien? Die liegen drüben im Frankie’s, sagt er. Woher er das weiß, frage ich. Vom Parkwächter, antwortet er. Gehe hinaus und frage den Parkwächter vor dem Laden. Er wisse es vom Parkwächter auf der anderen Straßenseite. Der winkt bereits aufgeregt und hält die Autos an. Ich rüber. Er hat’s vom DVD-Verkäufer. Der verweist auf die Taxifahrer, die am Eingang herum lümmeln. Die wiederum haben es vom Kellner im Frankie’s. Nuss-Frau und Fisch-Mann scheinen auch informiert zu sein, ebenso wie der Typ mit Gürteln und noch ein paar andere, die einfach nur so da sind.
Gehe hinauf und hole die Telefone. Weil die Mobilfunknetze hier schlecht sind und auch aus Kostengründen, Telefonate in Fremdnetze sind teuer, hat man hier zwei, drei oder auch vier Stück in der Tasche. Wieder unten, winken mir gut ein Dutzend Menschen sichtlich erleichtert zu. Mitfühlend machen mich einige darauf aufmerksam, dass es auch schlecht ausgehen kann, wenn man sein Telefone irgendwo liegen lässt. Muss ihnen natürlich rechtgeben, bedanke mich, mehrfach, vielfach, winke nach allen Seiten, verspreche, die Telefone nie wieder irgendwo liegen zu lassen. Dann bin ich entlassen und darf gehen.
Viele Grüße aus Accra,
Michael