Zu behaupten, Zebras, Giraffen und Elefanten hätten sich in unserem kenianischen Gemüsegarten Gute Nacht gesagt, wäre übertrieben. Richtig ist, dass sie uns schon bei kleineren Ausflügen ins Umland von Nairobi über den Weg liefen. War uns sonntags langweilig, fuhren wir auf einen Sprung in den örtlichen Nationalpark oder an den Lake Naivasha und stolperten verlässlich über das eine oder andere vergnügt äsende Großtier.
Bald nachdem die kleine Bb uns in unsere neue kleine hessische Heimatstadt gefolgt war, besuchten wir eines Sonntagmorgens den nahegelegenen Opel-Zoo und dachten uns nichts dabei. Erst als sie juchzend einem heranschlurfenden Elefanten Karotten durch den Elektrozaun hindurch zuwarf, ahnten wir, was wir getan hatten. Von nun an würde sie glauben, dass diese Tiere hier ebenso normal waren wie in Kenia.
Normal ist, was nicht weiter auffällt. Warum steht ein Elefant in Hessen und frisst Bio-Karotten vom Edeka? Gehört der hier hin? Würde er auf den großen afrikanischen Ebenen auch solche Karotten finden? Für mich wichtige Fragen. Für Bb eher nicht. Ich habe den Eindruck, sie findet ein ganz handelsübliches Wollschaf viel exotischer.
In Bbs Kindergarten sind gefühlte 95 Prozent aller Kinder blond und blass. Und der Rest? Ein Mädchen mit vermutlich pakistanischen Eltern, ein Junge mit einer lateinamerikanischen Mutter und natürlich Bb selbst. Bis vor ein paar Wochen hatte ich den Eindruck, ihr war noch gar nicht aufgefallen, dass sie ein bisschen anders aussieht, als die anderen.
Seit vorgestern ist das nicht mehr so. Da lag sie gegen acht Uhr abends in ihrem Bettchen und begann kurz vor dem Einschlafen zu philosophieren. Der Martin, das ist der kleine Lateinamerikaner, und der Trevor, das ist der Sohn unserer ehemaligen Haushälterin Kenia, das seien ihre Brüder. Ich fragte, warum. Weil die Jungs und sie selbst braun seien, murmelte sie schläfrig.
War ihr das selbst aufgefallen, oder haben die anderen Kinder im Kindergarten es ausgesprochen? Ich weiß es nicht. Im Moment scheint mir ihre Erkenntnis auch wertfrei zu sein. Sie ist braun, die anderen eher käsig. Na und? Wir Eltern erklären ihr, wir seien alle aus Schokolade gemacht, die einen aus dunkler, die anderen aus heller.
In Ghana und Kenia hieß es immer, Weiße sähen alle gleich aus. Anfangs wunderte mich das. Die Leute dort hatten alle dunkle Haut, dunkelbraune bis schwarze Haare und braune Augen, während die „Weißen“ nun mal blond-, braun- oder rothaarig waren und braune, blaue oder grüne Augen hatten.
Das schien den Afrikanern gar weiter nicht aufzufallen. Um sich zu unterscheiden, achteten sie auf andere Dinge, vor allem die „complexion“, die Schattierung der Haut. Über Hautfarbe zu reden, war normal. Unser kenianischer Tagwächter Collins beschrieb im Zweifel Leute immer mit „etwas heller“ oder „sehr dunkel“. Hierzulande würde man damit gleich verdächtig machen.
Hautfarbe hin der her, viel wichtiger ist es hier doch, welches Auto ich fahre. Bb und ich gehen morgens zu Fuß zum Kindergarten, das heißt, sie rollert und ich schiebe. Andere Eltern sorgen für Luxusstau und drängeln auf der kleinen Dropoff-Zone mit großen SUVs von BMW, Mercedes, Porsche und Landrover oder auch Volkswagen Multivan. Am schönsten ist der Auftritt der Kinder eines Nachbarn. Der schickt gelegentlich seine Kinder aus fußläufiger Entfernung im Porsche Cayenne, den – Anschnallen bitte! – die Nanny fährt.
Was machen wir bloß, wenn Bb anfängt, das für normal zu halten? Müssen wir ihr dann zum nächsten Weihnachten den Baby-Porsche schenken? Und was ist mit Weihnachten in 15 Jahren? Lieber nicht dran denken.