Autan on the rocks

Lieber Markus,

Du hast die Büchse der Pandora geöffnet, denn was Krankheiten anbetrifft, sind die Tropen für Mitteleuropäer der Jackpot. Parasiten, Viren und Bakterien feiern in unseren Körpern gerne wilde Parties, zu denen wir leider immer wieder eingeladen werden.

Als wir im Mai 2008 noch in Deutschland saßen und uns mental auf die Ausreise vorbereiteten, überraschte ich E. beim Abendessen gerne mit tagsüber recherchiertem Wissen zu tropischen Krankheiten. Es stammte aus Wikipedia, medizinischen Datenbanken und unzähligen Online-Foren, die überwiegend von Hypochondern mit Rechtschreibschwäche frequentiert zu sein schienen. Die Lektüre verfehlte ihre Wirkung nicht. Nach und nach glich sich mein Geisteszustand der panischen Paranoia im Internet an, vielleicht abgesehen von der Sache mit der Rechtschreibung.

Hier angekommen, wurde die Sache nicht besser. Da jede Mücke angeblich den sofortigen Tod bedeuten konnte, beachtete ich penibel sämtliche Vorsichtsmaßnahmen: Moskitonetz über dem Bett, auch bei 36 Grad im Schatten lange Socken, abends bitte schön helle Kleidung, weil die Mistviecher dunkle Farben lieben. Zeitweise sah ich aus wie ein Zahnarzt, der sich als Zuhälter noch was dazu verdient. Auch das Antimückenspray gehört zur Überlebensration. Erst gestern hatte anlässlich einer Gartenparty der Gastgeber fürsorglich sämtliche Tische mit einer Flasche Autan geschmückt, quasi als Aperitif. Mühelos überlagerte der feine Duft das Aroma der Bouletten vom Buffet.

Aber mit den Tropenkrankheiten soll man nicht spaßen. Da wäre zum Beispiel die Malaria, der Klassiker. Sie wird von der Anopheles-Mücke übertragen, unseren Schnaken nicht unähnlich, nur  schlauer. Versteckt in dunklen Ecken, wartet sie, die wie eine Figur aus einer griechischen Tragödie klingt, auf den unwiderstehlichen Duft von menschlichem Schweiß. Den, das kannst Du mir glauben, gibt es hier reichlich. Nach lautlosem Anflug erfolgt die Attacke unter der Gürtellinie – nein, nicht da! – sondern am Knöchel. Daher die Socken.

Der Stich an sich ist nur mäßig aufregend, wohl aber das, was nach etwa 10 Tagen passiert. Abends legt man sich gesund ins Bett und erwacht am nächsten Morgen im festen Glauben, es herrsche ein Erdbeben, und die Teile des Betondachs knallten einem schon auf den Schädel. Tatsächlich ist das Beben nur der Schüttelfrost und die Schläge auf dem Kopf sind das Klappern der eigenen Zähne, das so kraftvoll ist, dass man sich wünscht, man hätte schon die Dritten und könnte sie mal für eine Weile ‘rausnehmen.

Die gute Nachricht ist: Wenn es einem so geht, weiß man wenigstens, was Sache ist. Leider kann aber auch hinter einem handelsüblichen Schnupfen Malaria stecken. Deshalb rennen Greenhorn & Co. anfangs bei jedem kräftigen Niesen ins nächstgelegene Krankenhaus und lassen sich testen.

Etwas perfider ist die Bilharziose, ein mieser kleiner Wurm, der in stehenden Gewässern lebt, durch die Haut eindringt und irgendwann, viele Jahre später innere Organe schädigt. Hatte ich schon Cholera erwähnt, die hier hin und wieder ausbricht, oder Lepra, deren Wirkung man bei manchen Bettlern sehen kann, die an der Ampel ans Autofenster klopfen? Nicht zu reden von Flussblindheit, Gelb- und Denguefieber und natürlich die Amöbenruhr.

Als ich über Weihnachten in Deutschland war und einen einfachen, langweiligen grippalen Infekt hatte, fühlte sich das wie der Besuch eines alten Bekannten an, der einem nichts mehr zu sagen hat. Was sind schon Husten, Schnupfen und Heiserkeit gegen irgendwelche widerlichen Fadenwürmer, die es sich in meinem Darm breit machen und die ich, wie Mietnomaden, nicht mehr loswerde?

Eine Krankheit, von der kein medizinisches Lexikon berichtet, die ich aber auch zu den tropischen zählen würde, ist der Computervirus. Während mir in Deutschland in 20 Jahren Arbeit am Computer noch nicht ein einziger begegnet ist, erzielte ein ghanaischer Kollege heute einen neuen Rekord. Auf dem USB-Stick, den er mir zwecks Datenaustausch gab, fand das Antivirenprogramm nicht weniger als 113 Viren und Trojaner.

Viele Grüße

Michael