Bilharziose in Moskau?

Lieber Michael,
Ein Bilharziose-Problem gibt es in Moskau nicht. Warum? Kippte man einen Eimer voll Bilharziosewürmer in die Moskwa – das dreckige Flusswasser würde mit ihnen leicht fertig werden. Ich habe mal einen Angler an der Moskwa gefragt, ob die Fische, die er angle denn gut schmeckten. Er sagte: “Ja, sicher. Meiner Katze. Für Menschen ist das nichts.”
Man braucht hierzulande auch gar keine Bilharziose, die inneren Organe zu schädigen. Wodka ist dafür viel unterhaltsamer.

Gefahr für die Gesundheit droht hier, unglaublich aber wahr, eher von den Medikamenten. Man schätzt, dass 80% aller Medikamente gefälscht sind. Je teurer das Medikament, desto größer die Chance dass es im besten Fall gar nichts tut. Im schlechtesten Fall, dass Du Deine Migräne gegen Hepatitis eintauschst.

Wer kann, kauft die Medikamente besser in Botschaftsapotheken oder im European Medical Centre, dafür sind sie allerdings teurer.

Gefälscht wird ohnehin fast alles: Wodka, Mineralwasser, Lebensmittel, Kleidung, Hundefutter. Die “echt russischen” Bärenfellmützen, die am Roten Platz verkauft werden, sind wenn nicht aus Kunstpelz, dann aus Hundefell.

“Echter schwarzer Beluga-Kaviar” könnte auch mit Schuhwichse gefärbter Froschlaich sein – je nachdem wo man ihn kauft.

Und beim Wein setzt einem schier der Verstand aus. Entweder der Preise wegen: Importierter Wein kostet drei bis zehn Mal mehr als in Deutschland. Oder weil einheimische Tröpfchen oft als Herkunftsnachweis die Bezeichnung “Vin Sawod”, also “Weinfabrik” tragen. Die nächste liegt im Stadtgebiet ein paar Busstationen von uns entfernt.

Es ist eine Ansammlung großer heruntergekommener Ziegel- und Betongebäude. Mir drängt sich das Wort “Industriebrache” jedes Mal ins Hirn, wenn ich daran vorbeikomme. Schräg gegenüber ist eine Brauerei, deren Anblick nur deshalb beruhigender ist, weil deren riesiges Logo an der Fassade einen feisten rotbärtigen Mann zeigt, der einen schäumenden Bierhumpen schwenkt. Das Gebäude dahinter sieht auch nicht viel besser aus, als die Weinfabrik.

Für Feinschmecker war in Russland früher mal Georgischer Wein die allererste Wahl. Als die Welt zwischen Russland und Georgien noch in Ordnung war, wurde allein in Moskau mehr georgischer Wein verkauft, als das Land überhaupt produzierte. Damals hatte ich mehrere Sorten davon ausprobiert, um herauszufinden, ob das sowohl eine preisliche wie auch geschmackliche Alternative sein könnte. In einem Land, wo sogar eine Flasche “Liebfrauenmilch” zwölf Euro kostet.

Und was soll ich dir sagen? Rote wie Weiße waren außergewöhnlich und einzigartig!

Alle drei verschiedenen Weißweine schmeckten, als hätte man sie lange und sorgfältig in Jutesäcken gelagert. Geruch war Jutesack. Farbe war Jutesack. Aroma war Jutesack.

Die drei Rotweine waren eine ähnlich abenteuerliche Erfahrung: Alle drei hatten eine tiefrote Farbe. Einer war so sauer, dass man ihn besser zum Blutstillen verwenden sollte. Ein anderer war pappsüß und erinnerte geschmacklich irgendwie an Multivitaminsaft. Der dritte sah aus wie Wein, roch wie Wein und polterte derart ruppig über den Gaumen, dass ich minutenlang husten musste.

Ab dann beschoss ich auf russisches Bier umzusteigen. Immerhin gibt es seit letztem Jahr wenigstens erstmalig Grenzwerte für Inhaltsstoffe im Bier. Naja, genauer gesagt einen: für Arsen.

Aber immerhin. Denn das Gute daran ist, dass falls bei mir trotzdem mal Bilharziose diagnostiziert würde – ich bräuchte mich nicht über ein überteuertes oder gefälschtes Medikament ärgern. Mit einem Glas Wein aus der Fabrik und einem Bier zum runterspülen hätte ich die Biester im Nu erledigt.
Markus