Conditio Immaculata

Reinsten Wasser, reinen Herzens, reinen Gewissens, ach, und von mir aus auch reiner Zufall: Die Reinheit ist etwas, dem wir allseits zustreben. Oder etwa nicht? Klingt vielleicht metaphysisch, aber keine Sorge. In diesem Blog ging es bisher und geht es auch weiterhin um rein konkrete, praktische Dinge. Deshalb bitte nun das Rauchen einstellen, die Gurte wieder anlegen und alle elektronischen Geräte ausschalten. Wir begeben uns auf Sinkflug aus den philosophischen Höhen hinab in die Niederungen des Alltags: Der Autokauf in Kenia.

Ich bin ein Mann. Interessiere ich mich deshalb für Autos? Vielleicht. Und gilt das auch im Umkehrschluss? Möglich. Fußball hingegen ist mir völlig schnurz. Dafür koche ich gerne. Stricken und häkeln? Wenn sich’s vermeiden ließe. Andererseits dürfen Filme auch ohne Action sein. Soviel nur vorweg, um auch die Zielgruppen anzusprechen, die jetzt vielleicht sagen: Och nöö, so’n Männerthema. Tja, Pech, aber in diesem Blog bin ich der Chef. Aha, dominant, also doch… Schwierig, wie man sieht, aber da müssen wir jetzt durch. Alle gemeinsam.

Der Autokauf, also. Für die Stadt Nairobi haben wir bereits eine Kiste. Nur für die Ausflüge aufs Land, wo man dem Hörensagen nach teils einen Bergepanzer braucht, um heil anzukommen, fehlt uns noch das etwas kernigere Gefährt. Seit wir hier sind, also Januar, schaue ich deshalb immer wieder mal auf einschlägigen Webseiten nach, auf schwarzen Brettern oder frage im Bekanntenkreis herum. Bisher Fehlanzeige. Nicht, dass es hier keine Autos gäbe. Doch Wunsch und Wahrheit, Schein und Wirklichkeit gehen stark auseinander, sowohl auf Verkäufer- wie auf Käuferseite.

Als Käufer musste ich erst einmal lernen, dass Autos hier vier Mal teurer sind als anderso. Gemessen an Alter und Kilometern kosten sie geschätzt doppelt soviel wie in Deutschland. Nur doppelt? Geduld. Der zweite Grund, der schließlich zur Vervierfachung führt, kommt. Er besteht darin, dass die Autos meist nur halb so gut sind, wie beschrieben. Und das ist noch stark übertrieben. In blumigen Anzeigen sprechen die Verkäufer immer, wirklich immer, von „sehr sauber“, über „regelmäßig gewartet“ bis „gut gepflegt“. Nach sechs Monaten Suche ist eines absolut sicher: Die Autos, die ich mir bisher angeschaut habe, waren weder sauber, noch gewartet noch gepflegt, gar nicht zu reden von „sehr“, regelmäßig“ und „gut“.

Da gab es welche mit einem Unfallschaden, der aussah, als hätte ihn ein Kleinkind mit Knetmasse geflickt und danach mit Fingerfarben bemalt. Oder solche, die nicht anspringen wollten, und dann – nach einigem Orgeln – mit großer Wolke zum Leben erwachten. Und solche, die innen aussahen, als hätten die großen Tierherden Ostafrikas auf die jährliche Wanderung von der Serengeti in die Masai Mara verzichtet und wären die Strecke per Anhalter in diesem Auto mitgefahren. Kurzum: Die Parade der Schrottkisten, die ich mir ansehen musste, und manchmal auch mit zitternder Hand Probe fuhr, wurde lang und länger.

Nach langem Hadern kam ich zu folgendem Schluss: Es kann gar nicht sein, dass alle, aber auch alle Autoverkäufer in Nairobi Schwindler sind. Der Grund für das Missverständnis muss tiefer liegen, vermutlich in dem, was man interkulturelle Differenzen nennt. In diesem Fall in unterschiedlichen Auffassungen darüber, was gepflegt, gewartet und guter Zustand bei einem Auto heißt. Auf den Punkt gebracht: Für einen deutschen Autokäufer muss ein Gebrauchtwagen aussehen, als käme er gerade frisch aus der Fabrik (ich spreche da aus Erfahrung als Verkäufer), während hier die Kiste wohl einfach nur halbwegs fahrtüchtig sein muss.

Bisher habe ich diesen Aspekt des Lebens im Blog verschwiegen, auch weil ich dachte, interessiert ja eh‘ keinen. Wo doch die jungen Leute in Deutschland heute gar kein Auto mehr haben wollen. Doch nun kann ich nicht mehr an mich halten. Nachdem was ich heute erlebt habe, drängt die Wahrheit aus mir heraus wie Öl aus einer kaputten Zylinderkopfdichtung.

Im Schaukasten einer Shopping Mall hing er, der dunkelgrüne Range Rover Classic mit hellen Ledersitzen, gut gepflegt, regelmäßig gewartet und in einwandfreiem Zustand, was auf gut englisch „immaculate condition“ heißt. Danaben stand noch, mit Hand hingekritzelt „Owner: White Man“, was wohl so eine Art Gütesiegel darstellen sollte. Ich rief an, stellte die üblichen Fragen und ließ mir versichern, der Wagen befände sich in ausgezeichnetem Zustand.

Tags darauf trafen wir uns an einer Tankstelle mitten in Nairobi. Aus 50 Metern Distanz, war alles noch gut. Beim Nähertreten rief der Anblick des Wagen jedoch tief verschüttete Erinnerungen wach, ganz besonders die an einen römischen Legionär in einem Asterix-Band, der nach einer ordentlichen Tracht Prügel sagt: „Major e longinquo reverentia“, oder: Aus der Ferne besehen ist alles schön.

Das prachtvolle Racing Green zerfiel in einen Flickenteppich grün-grauer Schattierungen. Jeder Scheinwerfer, ob Front-, Rückfahr- oder Blinker war zerbrochen, die Heckscheibe mit grobem Metall angeschraubt, die Sitze waren zerschlissen, die Motorhaube zerrte an nur noch einem Scharnier, sämtliche Türdichtungen hingen lose herunter wie zu weich gekochte Spaghetti und im Motorraum tropfte es an mindestens vier Stellen ölig nach unten.

Es war wie in einem besonders schlechten Film, der so schlecht ist, dass man gebannt sitzenbleibt und die kalten Schauer des Fremdschämens genießt. Ob ich eine Probefahrt machen wolle? Aber natürlich wollte ich das. Ich drehte am Schlüssel. Gewaltig erdröhnte der 8-Zylinder-Motor, im Tiefbass vom löchrigen Auspuff begleitet. Der hoffnungsvolle Verkäufer wies mich auf die hörbare Power hin. Ich nickte verständnisvoll. Dann gab ich Gas.

Das heißt, ich versuchte es. Ich trat das Pedal, das Grollen wurde viel lauter. Beim Einkuppeln erwartete ich einen gewaltigen Satz nach vorne. Ich hielt mich vorsichtshalber schon mal etwas fester am Lenkrad fest. Doch fiel der Sprung aus. Unter donnerndem Trompeten, zitternd wie ein 90-jähriger Elefant mit Arthrose, schob sich der Wagen in Zeitlupe vorwärts.

Am Abend zuvor hatte ich noch einmal nachgelesen: 8-Zylinder, 3.9 Liter Hubraum und 173 PS, da müsste doch ein bisschen was gehen. So fest ich aber das Gaspedal gegen den Boden drückte, es blieb bei der Agilität eines Öltankers: Von Null auf 100 in zwei Tagen, aber auch nur auf der Umbwe-Route den Kilimandscharo abwärts. Und selbst wenn, wir hätten es nie erfahren: Der Tacho war, wie fast alle anderen Anzeigen, kaputt. Als ich ihn darauf hinwies, konterte der Verkäufer: “Aber der Drehzahlmesser funktioniert.”

Nach einer Weile rasenden Stillstands fragte er: „Kannst Du die Power fühlen?“. „Und wie“, sagte ich. Nach einer kurzen Ehrenrunde parkte ich den Rover wieder an der Tankstelle. Schnell wollte ich mich verabschieden. „Und?“, fragte der Verkäufer. „Nicht so mein Fall“, antwortete ich. Ob er denn nicht auch fände, dass der Zustand des Autos vielleicht nicht ganz so ausgezeichnet sei? Nein, er sei immer professionell gewartet und sehr gut gepflegt worden. Ich sah ihm in die Augen. Da war kein Hauch eines Zweifels. Conditio Immaculata eben.