Der richtige Riecher


Mitten in der Nacht stehe ich in unserem Hinterhof und trage eine Taschenlampe im Mund. Sie beleuchtet meine Hände, die damit beschäftigt sind, mit Zange und Schraubenzieher einen Computermonitor auseinandernehmen. Warum hier draußen? Warum gerade jetzt? Und: Warum überhaupt?

Etwa 10 Stunden früher: Es riecht komisch. Eigentlich nichts Besonderes. Hier riecht es immer wieder mal komisch. Zum Beispiel mittwochs, wenn es erlaubt ist, Gartenabfälle zu verbrennen. Vom Arbeitszimmer aus sehe ich dann über meinen Monitor hinweg sehr schön, wie sich Rauchschwaden durch die Hecke schleichen, einmal um die Bananenstaude kreisen, am Koriander scharf links abbiegen und gegen mein Fenster branden. Am Aroma erkenne ich, dass der Nachbar wieder mal Kosten sparen will und den Hausmüll samt Plastiktüten und Joghurtbechern gleich mitverbrennt.

Der Geruch, der mir heute in die Nase zieht, ist aber irgendwie anders. Es riecht nicht nach Holz, Gestrüpp, Papier und auch nicht nach Plastik. Es riecht einfach nur ekelhaft. Schon in den Tagen zuvor hatte ich immer wieder einmal für Sekundenbruchteile den Eindruck gehabt, etwas Seltsames liege in der Luft. Aber immer, wenn ich dann durch heftiges Schnüffeln diesen Eindruck bestätigten wollte, hatte er sich mir heimtückisch entzogen.

Heute habe ich dieses Problem nicht. Heute kommt der Geruch ganz von selbst zu mir und bleibt, wie ein uneingeladener, ungefragter Gast, länger als mir lieb ist. Da er von draußen zu kommen scheint, gehe ich hinaus und schaue mich um. Riecht ihr das auch, frage ich den Wächter und den Gärtner, die sich im Schatten des Avocado-Baumes unterhalten.

Ja, sagen beide, und verziehen das Gesicht. Vielleicht ein totes Tier, eine verblichene Ratte, ein abgestürzter Vogel? Alle drei suchen wir den Garten in der Nähe des Fensters ab, lupfen die Büsche, streichen Laub zur Seite, graben mit dem Fuß in der Erde. Nichts. Ich entlasse beide wieder unter ihren Baum und kehre ins Arbeitszimmer zurück.

Wenn etwas Blödes passiert im Leben, reagiert jeder anders. Die einen werden hysterisch und strampeln solange, bis das Blöde entweder beseitigt oder, wenn sie Pech haben, noch blöder geworden ist. Die anderen warten erst einmal ab, ob sich der Blödsinn vielleicht von selbst verflüchtigt. Ich entscheide mich heute fürs Abwarten und hoffe das Beste.

Glücklicherweise habe ich in Nairobi zu tun. Also verlasse ich das Haus und kehre erst in der Abenddämmerung zurück. Meine Hoffnung, das blöde Ereignis würde von selbst verschwinden, hat sich als falsch erwiesen. Im Arbeitszimmer werde ich fast ohnmächtig. Der Gestank ist jetzt unerträglich. Schnüffelnd suche ich. Im Schrank? Hinter den Büchern? Unter dem Schreibtisch? Schließlich führt mich meine Nase zum Monitor, ein Flachbildschirm, mit Lüftungsschlitzen am oberen Rand.

Bingo! Aber was kann an einem Bildschirm nur so widerlich riechen? Kaputt ist er nicht. Verschmorte Kabel riechen auch anders. Ich sehe einen Gecko die Wand entlang huschen. Ein Verdacht. Im Haus leben jede Menge davon. Immer wieder habe ich beobachtet, dass sie sich gerne hinter Elektrogeräten verbergen, wo es warm und gemütlich ist. Kombiniere: Lüftungsschlitze, Wärme, Gecko!

Ich schnappe den Monitor, trage ihn mit gestreckten Armen nach draußen. Hole Werkzeug und eine Taschenlampe, weil es mittlerweile dunkel ist. Im Lampenschein nehme ich den Monitor auseinander. Als ich die Abdeckung der Platine entferne, springt mir ein Gecko entgegen und verschwindet in den Büschen. Verschlucke vor Schreck fast die Lampe. Dann schraube ich die Platine selbst ab – und hebe sie wie den Deckel einer Gruft.

Drei Geckos in verschiedenen Stadien der Verwesung liegen da. Bei CSI Nairobi würde der Chefermittler nun feststellen, dass der eine zu gierig nach Wärme war und dabei der Elektronik zu nahe kam. Ruhig würde er seine Analyse schließen: „Und so hat er die anderen mit in den Tod gerissen.“ Dabei würde er so schauen, wie einer schaut, der einerseits betroffen ist vom Anblick der schrecklichen Tat, sich andererseits aber auch darüber freut, dass das Leben wieder einmal eine seiner berühmten Lektionen erteilt hat.

Der Unterschied zwischen mir und dem coolen CSI-Ermittler ist: Erstens wird mir im Verlauf des Abends klar, dass ich nun eine Woche lang toten Gecko eingeatmet habe. Zweitens muss ich den Tatort selbst aufräumen. Ich desinfiziere den Monitor einmal, zweimal, dreimal, schraube ihn zu und verschließe alle Öffnungen, durch die nach menschlichem Ermessen ein Gecko passen könnte, mit starkem Klebeband.

Später kommt E. nachhause. Sie klopft an die Türe, ich öffne, blicke ihr bedeutungsschwer in die Augen und versuche, wie Marlon Brando in Apocalypse Now zu sagen: „Ich habe das Grauen gesehen.“ An diesem Auftritt habe ich mindestens eine Stunde gearbeitet, während ich den verdampften Gecko mit einem Bier herunterspülte. Doch der geplante Effekt verpufft. E., die von einem harten Arbeitstag im Büro zurückkommt und sich durch den Feierabendverkehr von Nairobi gequält hat, sagt nur: „Ich auch.“