Ein Schnap(p)s für die Ahnen

Lieber Markus,

auch hierzulande ist es mit dem Alkohol nicht einfach. Ein Beispiel: In Ghana werden vier Biersorten gebraut, und je nachdem, welchen der vielen, tapferen Kampftrinker man befragt, hat immer ein anderes, am Ende also alle, Kopfwehgarantie. Die gute Nachricht ist: Dann ist es egal, welches man in welcher Menge konsumiert. Preisgünstig sind sie sowieso.

Tatsächlich kann man sich hier für wenig Geld ganz ausführlich betrinken und dazu noch eine Menge Freunde einladen. Als wir einmal morgens um halb zwei zu zehnt eine berüchtigte Disse in Accra aufsuchen wollten, plädierte ein Party-Veteran dafür, zunächst auf der anderen Straßenseite einen Kleinen zu kippen, da es eigentlich noch viel zu früh sei für alles andere. Wir einigten uns auf eine Runde Madingo, eine Art ghanaischer Campari, ebenso rot und bitter, nur stärker. Bald leerten wir jeder ein schmutziges Glas und fanden die zwei Euro fünfzig für alle zehn Schnäpse zusammen recht gut angelegt.

Im Kiosk um die Ecke, wo ich als First Lady hin und wieder die bitter notwendigen Dinge des täglichen Lebens besorge, also Erdnüsse, Cola, Spekulatiuskekse (ganzjährig erhältlich) und Klopapier, stand ich anfangs lange vor den Regalen und versuchte mir ein Bild der Lage zu machen. Ich stellte fest, dass Weine hierzulande aus Südafrika, Australien, Chile, Argentinien und Frankreich kommen, wobei die Auswahl in der Reihenfolge dieser Aufzählung abnimmt. Ein Freund behauptet steif und fest, dass es irgendwo zuweilen auch deutschen Riesling zu kaufen gibt. Das glaube ich aber erst, wenn ich es sehe.

Hier fällt einem auch schnell auf, wie irreführend die Empfehlung sein kann, Rotwein bei Raumtemperatur zu trinken. Je nach Wetterlage wird da nämlich schnell ein Glühwein draus. Also wird hier der Rote immer knallhart gekühlt getrunken, und wie man hört, gibt der eine oder andere Gourmet auch noch Eiswürfel hinzu. Apropos Glühwein: Beim letzten Weihnachtsbasar in einer der hiesigen internationalen Schulen wurde tatsächlich selbiger gereicht, eisgekühlt versteht sich, und seitdem erzähle ich jedem, nun auch Dir, dass das so temperierte Getränk das Zeug hat, der deutsche Sangria zu werden.

Ganz oben im Regal des bereits erwähnten kleinen Kiosks entdeckte ich einen Pappkarton, auf dem im Stil der – grob geschätzt – 20er Jahre, schräg das Wort „Schnapps“ aufgedruckt war. Die Schachtel sah so schön nostalgisch aus, auch Flasche und Inhalt schienen seriös, sodass ich die paar Cedis investierte. Zuhause kostete ich und fühlte augenblicklich, wie meine Leber oder ein beliebiges anderes Organ implodierte. Später erfuhr ich, dass dieser Schnap(p)s eher als Opfergabe dient, die beim Betreten eines ghanaischen Haushaltes dargebracht wird. Man kippt einen Schluck davon auf der Schwelle des Hauses aus und erweist so den verstorbenen Ahnen die Ehre. Bei zu nachhaltigem Eigengenuss kann man den Altvorderen die Grüße vermutlich gleich persönlich überbringen.

Recht schnapsselig war auch eine Bootsrundfahrt, die wir vor ein paar Monaten auf der Mündung des Volta unternahmen. Der riesige Fluss fließt im Norden Ghanas in den größten Stausee der Welt hinein, im Süden wieder hinaus und gleich darauf in den Atlantik. Knatternd zuckelten wir gemeinsam mit anderen Touristen in einem länglichen Kahn über das Delta, dorthin, wo Fluss und Meer schäumend aufeinander treffen. Auf dem Weg ließen wir die prächtige Privatinsel des hiesigen Nissan- und Volkswagenhändlers links liegen. Autoverkäufer sollte man sein.

Während dieser Fahrten steuert der Kapitän früher oder später eine Insel an, auf der seit 1926 eine Zuckerrohrpresse indischer Bauart betrieben wird. Den ausgequetschten Saft lagern die Insulaner in großen, bauchigen Behältern, die sie zur Gärung bei leicht reduzierter Hitze fast ganz in der Erde eingraben. Nach späterer Destillation bieten die Insulaner unerschrockenen Touristen das Getränk für 5 Cedi auf eineinhalb Liter zum Kauf an. Natürlich konnte ich diesem Discountpreis nicht widerstehen. Der erste Schluck war in Ordnung, der zweite auch, nur hätte ich den nächsten Morgen dann doch gerne übersprungen. Diese Schmerzen…

All das wäre nicht so tragisch, hätte uns die Spedition, die unser Hab und Gut damals nach Ghana transportierte, nicht so fürchterlich Angst gemacht. Auf keinen Fall Alkohol mit in den Container packen, hieß es, das gäbe einen Riesenärger mit dem Zoll. Also hatten wir damals unsere besten Weine an Freunde verschenkt, hatten angebrochene Sherry-, Calvados- und andere -flaschen in die Ausguss gekippt, und obendrein meine schöne Whisky-Sammlung bei meinem Vater im Keller untergestellt, wo die teuren Flaschen zusammengepfercht in einem schnöden grünen Plastikeimer auf bessere Zeiten warten.

Die ganze Angstmacherei war natürlich Blödsinn. Kollegen haben hektoliterweise leckeren Wein mitgebracht, während wir uns an südafrikanischen Supermarktweinen laben dürfen. Aber im Vergleich zu den Anschlägen auf den guten Geschmack, von denen Du berichtest, ist das vermutlich nur das zweitschlimmste Schicksal.

Daher ein gut gelauntes Prost aus Accra!

Michael