Insekten haben ein echtes Image-Problem. Keiner kann sie leiden, außer vielleicht die anderen Insekten oder ihre größten Fans, die Entomologen. Wir Normalmenschen mögen es einfach nicht, wenn Kleingetier mit zu vielen Beinen, Fühlern oder Flügeln auf unseren Kleidern, unserem Essen oder auf uns selbst spazierengeht. Sei es, dass es hier in Ghana mehr davon gibt, sei es, dass sie potentiell gefährlicher sind, mein Verhältnis zu der fremdartigen Spezies hat sich nicht gebessert – im Gegenteil.
Relativ häufig geschieht es hier, dass ein Gesprächspartner, während wir uns gerade gepflegt unterhalten, unvermittelt wild zu gestikulieren beginnt. Habe ich etwas falsches gesagt, einen interkulturellen Fauxpas begangen? Oder hat er das in US-Serien zurzeit total hippe Tourette-Syndrom? Kein neurologisches Problem lässt sich schöner für Filmbilder missbrauchen, und ein paar unmotivierte, von Kraftausdrücken begleitete Karateschläge machen noch aus der dämlichsten TV-Zicke einen tiefen Charakter.
Hier in Ghana hat das Gefuchtel mit einer gehobenen Abneigung gegen Insekten zu tun, seien es Moskitos oder möglicherweise ganz harmlose Fliegen, die nur in Sippenhaft geraten sind. Auch an mir selbst kann ich ein mittlerweile gereiftes Verhältnis zum Fluginsekt feststellen, aber auch zur Ameise oder zum gemeinen Käfer. Ganz egal unter welchen Lichtverhältnissen, ich nehme hier die Bewegungen kleiner schwarzer Punkte, sogar ihr bloßes stilles Vorhandensein, ungleich stärker wahr, als früher. Fliegt der Moskito noch so still und heimtückisch am äußersten Rand meines Blickfelds entlang, zieht er doch magisch meine Aufmerksamkeit auf sich.
Mehr als eine kleine Plauderei wurde jäh durch allgemeine Moskito-Hatz unterbrochen. Dieses vermutlich seit Jahrtausenden bestehende und durch konträre Interessen belastete Verhältnis zwischen Mensch und Mücke ist zu einem unlösbaren Konflikt ausgeartet. Es gibt keine Aussicht auf Frieden, keine Versöhnung, da hilft auch die beste Paarberatung nicht mehr. Es heißt nur „er oder ich“, eigentlich „sie“, denn die weibliche Mücke ist hungriger, und wie im wilden Westen: „erst schlagen, dann fragen“.
Nach Kraft sind wir im Vorteil, denn die Mücke hält nichts aus. Der schwächste Treffer führt zum sofortigen Exitus. Leider weiß sie das auch und hat sich deshalb ein besonders perfides Flugverhalten angeeignet. Stellen wir uns mal einen vollkommen betrunkenen Autofahrer vor, der die irrsten Schlangenlinien fährt, und das in 3D, bitteschön. Eben noch da, verschwindet der Moskito im Dunkeln, und die mit aller Kraft und Siegessicherheit über ihm zusammengeklatschten Hände bleiben leer. Vielleicht hülfe ja Co-Blogger Markus’ Flammenwerfer? Dann ist minutenlang Ruhe im Luftraum, bis wieder ein kleiner schwarzer Punkt auftaucht.
Ist es derselbe Moskito? Oder ein anderer? Wie viele sind hier eigentlich, und wie kommen die Mistviecher in diese Festung aus Moskitonetzen hinein? Wo kommt der Stich an meinem Knöchel her? Das juckt vielleicht. Haben wir nicht das ganze Haus letztens komplett mit Gift eingenebelt? Sind die Mücken nun immun? Kleine schwarze Punkte. Ich sehe nur kleine schwarze Punkte. Sie fliegen, sie sitzen, sie warten, sie sind einfach überall. Sie sind leise und fast unsichtbar. Kleine schwarze Punkte. Sie bewegen sich. Sie kommen.