Vor ein paar Jahren habe ich hier in Kenia eine Radioshow mitverfasst und –produziert in der eine fiktive Familie 14 Folgen lang Probleme mit Energie hat, also mit Licht oder dem Feuer fürs Kochen. Gemeinsam mit einem lokalen Puppenspieler-Team, (das übrigens auch die Latex-Köpfe für die kenianische Ausgabe von „Spitting Image“ zum Leben erweckt), arbeitete ich an den Ideen, den Dialogen und den Namen für die Familie. Dabei überraschte mich ein Detail, das mich damals wunderte und heute überhaupt nicht mehr.
In der Radioshow ging es vor allem darum, neuen Ideen gegenüber aufgeschlossen zu sein, in diesem Fall eine Lampe zu verwenden, die statt mit Kerosin mit Solarstrom betrieben wurde, oder auf einem energiesparenden Ofen zu kochen statt auf dem offenen Feuer. Die Familie mit den Energieproblemen hatten wir uns so ausgedacht: Die Kinder sind neugierig und ein bisschen oberschlau, die Mutter ruhig und pragmatisch und der Vater aufbrausend und konservativ.
Der Name dieses unbelehrbaren Mannes sollte dem Wunsch der Puppenspieler nach „Baba Boi“ lauten. Er sollte also „Papa des Jungen namens Boi“ heißen. Dass Boi vielleicht ein kenianischer Jungenname sein sollte, der sich verdächtig nach dem englischen Boy anhörte, ließ ich noch gelten. Aber warum hatte der Mann denn keinen eigenen Namen? Die Puppenspieler schauten mich ebenso verständnislos an, wie ich sie. Nach kurzer Diskussion hatte ich wieder etwas gelernt: Wer hier ein Kind hat, wird traditionell nur noch Mama oder Baba XYZ genannt.
Jahre später, im Januar 2015, durften wir zum ersten Mal unser zukünftiges Kind in seinem Heim besuchen. Wir wussten nichts von ihr, nur dass es ein etwa zweijähriges Mädchen war. Die Sozialarbeiterin führte uns in einen Besucherraum. Nervös saßen wir auf einem Stoffsofa und starrten auf die angelehnte Türe, durch die demnächst dieser kleine, unbekannte Mensch treten sollte. Die Türe öffnete sich. Herein kam eine Schwester, an deren Hand die kleine B. hinterhertapste. Erst schaute sie E. an, dann mich, streckte ihre Ärmchen aus und sagte „Babaa“.
Ich hatte mich vor diesem Moment oft gefragt, ob ich denn ein Kind, das nicht mein biologischer Nachkomme war, überhaupt lieben könnte. Diese Frage hatte sich in diesem Moment beantwortet. Ein für alle mal. Sie war so was von beantwortet, als hätte es sie nie gegeben.
Neben vielem anderen, was sich in unserem Leben änderte, waren wir von nun an nur noch Babaa und Mamaa B. Zunächst im Heim, wo die Schwestern in dem Moment, da wir bei weiteren Besuchen durch die Türe traten, schallend durch die Gänge riefen, „Mamaa B. ist hier.“ Wochen später, als wir die kleine B. nachhause brachten, setzte sich das auch bei unserem Personal durch, dann auch in E.s Büro, bei Besuchen im Supermarkt, einfach überall.
Falls in dieser Hinsicht Zweifel bestehen, möchte ich kurz hinzufügen, dass dieser Namenswechsel das einzige ist, was ich mit dem Papst gemeinsam habe, der ja nach seinem Amtsantritt seinen Taufnamen ablegt und sich fortan erst Papa Johannes, Paul, Benedikt, Franziskus oder so ähnlich nennt.