Lieber Markus,
halte mich für verrückt, halte mich für überschnappt, aber 2014 soll man auch in Ghana Skifahren können. Das verspricht ein in England lebender Ghanaer, der in den Bergen nördlich der Hauptstadt Accra eine künstliche Skipiste anlegen will.
Von Bergen zu sprechen, ist allerdings leicht übertrieben, denn höher als knapp 900 Meter geht’s nicht in Ghana, und die Jahresdurchschnittstemperatur liegt zwischen 28 und 32 Grad Celsius. Aber man wird ja wohl noch träumen dürfen.
Ich dachte an nichts Böses, als ich am Samstagmorgen ein paar ghanaische Internetnews las. Nachrichten über Sport gehören normalerweise nicht zu meinen Favoriten. Nichts führt schneller zu einer Notabschaltung meines Gehirns als Diskussionen über Fußball & Co. Du erinnerst Dich vielleicht noch gemeinsame Fernsehabende in der Küche, bei denen ich mich durch dämliche Fragen zu Viererkette, Abseitsfalle und sonstigen, mir völlig fremden Riten hervortat.
Meine Abneigung gegen das organisierte Verbre…, äh, Kicken und andere Massensportveranstaltungen hat sich derweil nicht geändert. Als ich aber eine Meldung über den ersten Ghanaer entdeckte, der an olympischen Winterspielen teilnimmt, wollte ich doch mehr wissen.
Kwame Nkrumah-Acheamphong, der Skifahrer, nicht verwandt oder verschwägert mit Ghanas Nationalhelden, dem ehemaligen Präsidenten Kwame Nkrumah, nennt sich Snow Leopard und trägt beim Skifahren deshalb auch einen Anzug mit Punkten drauf. Diese Punkte kann man übrigens kaufen und damit Kwames Skikarriere sponsorn, eine lustige Idee.
Schneeleopard, also. Ghanaer lieben es, sich mit mächtigen Tieren zu vergleichen. Unlängst war ich im Stadtteil Jamestown, ein wenig Fotografieren, als ich ein riesiges Plakat zu Ehren des dortigen Chiefs entdeckte. Seine Majestät höchstselbst waren dort abgebildet, angetan in einer farbenfrohen Robe, traditionsgerecht mit entblößter rechter Schulter, und einer goldenen Krone auf dem Haupt. “Lion Warrior”, also Löwenkrieger, ward er in großer Schrift genannt, und als ich fragte, ob es denn möglich wäre, bei ihm eine Audienz zu bekommen, meinte mein Begleiter, das ginge schlecht, weil Seine Exzellenz überwiegend im fernen Chicago wirkten – und zwar als Zahnarzt.
Zurück zum Skifahren. Schneeleopard ist in Schottland geboren, hat als Jugendlicher in Ghana gelebt und kehrte dann nach England zurück. In Milton Keynes, einer Stadt 70 Kilometer nordwestlich von London, arbeitete er am Empfang der dortigen künstlichen Skianlage. Und begann selbst Ski zu fahren. Schon 2006 wollte er sich für die Winterspiele akkreditieren, saß aber wegen vereister Flügel in Amsterdam im Flugzeug fest und verpasste die Frist. Nun ist es ihm gelungen, und er darf in Vancouver mitfahren.
Die Leistung, bei den olympischen Winterspielen antreten zu dürfen, ist enorm. Aber ein Ghanaer wäre keiner, wenn es dabei bliebe. Sehr gerne wird hierzulande in Superlativen gedacht. Es muss also gleich eine künstliche Skianlage her.
Dass Bewohner schneearmer Gefilde auf solche Ideen kommen, ist an sich nicht ungewöhnlich. Im niederrheinischen Neuss steht auf einer alten Müllkippe eine solche Anlage, ebenso wie in der „Emirates Mall“ in Dubai, die größte der Welt, versteht sich. Im Unterschied zu Ghana haben, oder besser: hatten die Scheichs bis vor kurzem das nötige Kleingeld, um auch die Stromrechnung für die Kühlung von 6000 Tonnen Schnee zu bezahlen.
Hier in Ghana kann man derweil von Glück sagen, wenn einem die heimische Gefriertruhe die Lebensmittel nicht vorgart, weil dauernd der Strom ausfällt. Für dieses Phänomen haben wir hier mindestens soviele Bezeichnungen, wie die Eskimos für Schnee: “power cut”, “lights off”, “no lights” etc.
Wie wohl eine Kunstski-Resort nach einem längeren power cut aussieht? Wahrscheinlich wie eine große Halle über einem feuchten Dreckhügel? Aber wer bin ich, dem Fortschritt im Wege zu stehen. Man wird ja noch träumen dürfen.
Viele Grüße aus Accra,
Michael