Regen im November, das kennt man. In Deutschland vielleicht nur noch aus der Erinnerung. In Kenia zurzeit aus eigener, täglicher Anschauung. Straßen verwandeln sich in Flüsse, Schlaglöcher in Seen und Autos in Gischt spritzende Schnellboote. Das hielt uns aber nicht davon ab, einen, nein: den Weihnachtsmarkt in Nairobi zu besuchen, der sich als eine Veranstaltung mit ganz eigenem Charme herausstellte.
Es wird einem nichts geschenkt, weder auf dem Weihnachtsmarkt, noch auf den Straßen. Bevor wir an den Buden vorbeischlendern dürfen, quälen wir uns durch den Verkehr, der sich kilometerlang staut. Dann nimmt uns einer, dem ich freundlicherweise die Vorfahrt lasse, den Parkplatz weg. Schließlich folgt ein kleiner Fußmarsch auf das vollkommen vermatschte Gelände, auf dem sich etwa hundert Zelte drängen.
Soweit, so bekannt, Parkplatzdiebe gibt es auch in Deutschland. Während aber der, sagen wir, Frankfurter Weihnachtsmarkt mitten in der Altstadt steht, wurde er hier im Innenraum der Pferderennbahn aufgebaut, gleich neben dem Golf-Club. Die Parkplätze sind voll von großen Geländewagen, und die Weihnachtsmarkt-Veteranen erkennt man sofort an ihrer praktischen Kleidung, deren bemerkenswertester Teil die bunten Gummistiefel sind.
Das Kleidungstück, mit dem ich persönlich die meisten Kindheitstraumata verbinde – wandern auf der Schwäbischen Alb bei Wind und Wetter – ist hier aus der Not heraus zum modischen Accessoire geworden. Die Damen und Herren in den Verkaufszelten, so gut wie alle weiß, tragen das wasserabweisende Schuhwerk mit selbstbewusster Gelassenheit. In einem Wort: Englisch, alles ist sehr, sehr Englisch.
Was gibt es auf kenianischen Weihnachtsmärkten, die vorzugsweise fürs weiße Publikum gemacht scheinen, zu kaufen? Keine Lebkuchenherzen, keinen Glühwein und keine gebrannten Mandeln, soviel schon einmal vorweg. Um noch Ghana mit in den Vergleich einzubeziehen: Dort gab es immerhin Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, allerdings eisgekühlt.
Hier in Nairobi wird viel Selbstgemachtes angeboten: Schmuck, Taschen, Kleidung, Marmelade, Deko- und Designartikel, wie Glasgegenstände, Töpferwaren und hölzerne Gefäße und Küchenutensilien. Das darf man sich jetzt nicht wie das Selbsteingemachte des Landfrauenverein Nördliches Unter-Allgäu vorstellen. Hier wird nämlich veredelt.
Die Marmelade wird nicht einfach im Glas angeboten, sondern in einem Glas mit Markenerlebnis. Dieses besteht im Wesentlichen aus einem kreativen Namen „Hangover“ (Kater), einer noch kreativeren Limonen-Gin-Gewürzmischung und einem lustigen, karierten Häubchen über dem Deckel, das so etwas wie „fast wie bei Großmuttern“ signalisiert.
Auch die hölzerne Salatschüssel ist nicht einfach nur eine hölzerne Salatschüssel, sondern stammt vom Holz umgefallener Akazienbäume, das die Hersteller den Masai abgekauft haben. Die würden es nur als Brennmaterial nutzen, erklärt man uns und bringt damit gleich die Botschaft unter, naturverbundener und zugleich schlauer zu sein.
Auf dem Boden zeigt die Schüssel die eingebrannte Aufschrift: „The Leakey Collection“ und eine Seriennummer. Die Leakeys sind kenianisch-englischer Uradel und vor allem für ihre Urmenschen-Funde in den 1960er Jahren bekannt. Auch aus einem Anthropologen kann also eine Marke werden, und wenn es nur für hölzerne Salatschüsseln und Schmuck ist.
Die Schmuckprodukte heißen erstaunlicherweise Zuluwood oder Zulugrass. Seltsam, wo doch die Zulu, ein Stamm aus dem südlichen Afrika überhaupt nichts mit den Masai zu tun haben, die den Schmuck herstellen. Vielleicht war der Name Masai markenrechtlich ja schon gesperrt. Die Masai gelten schließlich als sehr gute Selbstvermarkter.
Es geht also ums Veredeln auf dem Weihnachtsmarkt in Nairobi. Aber nicht nur. In der Ferne, gleich hinter einem riesigen Matschfeld, sehen wir ein Schild auf dem steht: „German Sausages“, also deutsche Würstchen. Zu einem echten Weihnachtsmarkt gehört eine zünftige Bratwurst. Sollte es denn…? Ist es denn möglich, dass…? Ja, es ist.
Ein großer Stand bietet mächtige Würste an, die mit ordentlich Senf garniert recht authentisch schmecken, wären sie nicht auf die im englischen Sprachraum offenbar unumgänglichen Labberbrötchen gebettet. Der Hersteller der Würste, soviel ich weiß, ein Metzger in Nakuru (zwei Stunden von Nairobi entfernt) hat seine Firma „Canned Meat“ also „Dosenfleisch“ genannt. Veredeln geht anders.
Doch wollen wir mal nicht so sein. Da kein Schnee zu erwarten ist, nur wenig überzeugende Weihnachtsbaumimitate herumstehen und der Weihnachtsmann hier auf der Ladefläche eines Nissan Pickup herumgefahren wird und unter „Hohoho“-Rufen Lutscher in die Menge wirft, hat der Weihnachtsmarkt in Nairobi seinen ganz eigenen Charme, den wir jetzt auf keinen Fall miesmachen wollen.
Auf dem Rückweg zum Parkplatz sehen wir um den Ausgang herum eine Menge Kenianer stehen, die auf irgendetwas zu warten scheinen. Einer kommt auf uns zu, er trägt eine Bürste in der Hand. Ob er uns die Schuhe putzen soll, will er wissen. Auch die anderen sind gekommen, um den weihnachtlich Veredelten den Matsch von den Sohlen zu kratzen. Fröhliche Weihnachten.
PS: Falls auch der Landfrauenverein Nördliches Unter-Allgäu Dinge veredelt, bringe ich jederzeit gerne eine Gegendarstellung. Allerdings müssten mir dafür Beweisstücke vorgelegt werden.