In einem Artikel vom Mai 2011 beklagte die bayerische Polizei, dass in Deutschland der Blinker von Autofahrern immer seltener benutzt wird. Dabei gibt es doch gute Gründe dafür: “Gerade die konsequente Betätigung des Blinkers oder die rechtzeitige Abgabe von Handzeichen trägt jedoch wesentlich sowohl zur Sicherheit als auch zur Flüssigkeit des Straßenverkehrs bei.” Die Kenianer gehen hier mit guten Beispiel voran und blinken, blinken, blinken. Die Frage ist nur: warum eigentlich?
Auch ich gehöre zu der unter Artenschutz stehenden Gruppe, die den Blinker am Auto nicht für ein Bestandteil der Weihnachtsbeleuchtung halten. Deshalb hat die bayerische Polizei auch völlig recht mit ihrer suggestiven Frage “…haben Sie sich (…) schon darüber geärgert, dass Kraftfahrer das Blinken zunehmend vergessen oder gar für überflüssig halten?” Ja, habe ich. Nach einer Weile heftiger Teilnahme am kenianischen Straßenverkehr weiß ich jetzt aber, dass man es mit dem Blinken auch deutlich übertreiben kann.
Auf dem Weg von der Stadt nachhause ist die Straße streckenweise sehr, sehr dunkel. Ich denke da besonders an ein Stück, das etwa einen Kilometer lang kerzengerade an einem Hang entlang führt. Abbiegen kann man hier nirgends. Deshalb wunderte ich mich immer darüber, dass die anderen Autofahrer, ob voraus- oder hinterdreinfahrend, ständig blinkten.
Bei einer Taxifahrt verwickelte ich den Fahrer in ein Fachgespräch zum Thema. Die Diskussion erinnerte ein bisschen an die Radio Eriwan Witze der 60er und 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts, mit denen sich Bewohner sozialistischer Länder über ihren Alltag lustig machten. Sie begannen immer mit einer Frage, die an den fiktiven Radiosender Eriwan gestellt wurde, und die Antwort lautete immer nach folgendem Muster: “Im Prinzip ja, aber…” Ein besonders schönes Beispiel dafür ist dieser:
Frage an Radio Eriwan: „Stimmt es, dass Grigori Grigoriewitsch Grigoriew bei der Allunions-Meisterschaft in Moskau einen roten Tschaika“ (ein sowjetisches Luxusauto) „gewonnen hat?“
Radio Eriwan antwortet: „Im Prinzip ja, aber erstens war es nicht Grigori Grigoriewitsch Grigoriew, sondern Wassili Wassiljewitsch Wassiljew, zweitens war es nicht bei der Allunions-Meisterschaft in Moskau, sondern beim Kolchos-Sportfest in Gamsatschiman, drittens war es kein Tschaika, sondern ein Fahrrad, und viertens hat er es nicht gewonnen, sondern es wurde ihm geklaut. Aber immerhin war die Farbe rot.“
Meine Frage an den Taxifahrer lautete etwa so: “Sollte man nicht blinken, wenn man abbiegen, oder sonst irgendwie die Fahrtrichtung ändern möchte?”
Darauf antwortete der Taxifahrer etwa so: “Im Prinzip ja, aber es gibt noch mindestens drei andere gute Gründe dafür:
1) Um die Breite des Fahrzeugs anzeigen. Autofahrer in Kenia befürchten, der Gegenverkehr könnte die Breite ihres Autos unterschätzen. Deshalb blinken sie während der ganzen Fahrt rechts, vor allem nachts. Meinem Einwand, dass der Gegenverkehr die Breite des Fahrzeugs ja auch an den Scheinwerfern ablesen könnte, entgegnete er schlau: “Ja, und was, wenn das Licht nicht geht?”
2) Um Überholende vor Gegenverkehr zu warnen. In Kenia wird gerne überholt. Vielleicht weil das Fernsehprogramm schlecht ist, oder einfach nur so, holen sich die Autofahrer dabei die Action. Deshalb beginnen sie ihre Überholmanöver gerne vor unübersichtlichen Kurven, vor Kuppen oder auch ganz spontan mit jagdbomberartigem Abschwenken in den Gegenverkehr hinein. Um nicht einen Unfall verwickelt zu werden, den der Hintermann verursachen könnte, blinkt der Vorausfahrende prophylaktisch schon mal rechts.
3) Um eigenes Überholen anzuzeigen. Boah, wie langweilig. Das ist ja wie in Deutschland. Stimmt schon, aber in Kombination mit den drei vorherigen Gründen fürs Blinken, sind Spaß und Spannung garantiert.
4) Um Abbiegen anzukündigen. Das klingt soweit ja ganz vertraut, außer dass ich mich und den Taxifahrer frage, wie denn die Hinterdreinfahrenden wissen sollen, welches Blinken denn gerade gemeint ist. Dieses Problem versteht er nun wirklich nicht. Vor dem Abbiegen würde man doch bremsen, also wäre doch ein Blinker in Kombination mit dem Bremslicht ein völlig eindeutiges Signal, sagt er kopfschüttelnd.
Aber woher weiß ich denn nun, warum einer blinkt? Vielleicht tippt er kurz vor dem Überholen nochmal die Bremse leicht an, oder hat einfach nur vergessen den Blinker abzustellen (dies als inoffizieller fünfter Grund).
Doch dabei übersehe ich das geniale Gesamtkonzept des Blinkens in Kenia als extrem komprimierte Form der Nachrichtenübermittlung. Denn zusammengenommen heißt Blinken: „Erstens, Leute, mein Auto ist 210 cm breit, damit das schon mal klar ist. Zweitens, will ich demnächst überholen. Drittens, herrscht im Moment jedoch Gegenverkehr, also passt ein bisschen auf dahinten. Viertens, meine ich, sobald der Gegenverkehr vorbei ist, mein Blinken ganz anders. Fünftens, ist es natürlich durchaus möglich, dass ich in den nächsten Minuten nicht überholen kann (wegen des Gegenverkehrs, vor dem ich ja warne). Ich blinke aber dennoch schon mal. Falls ich, sechstens, endlich nach minutenlangem Blinken auf die Bremse trete, will ich abbiegen, weil ich zuhause angekommen bin.”
Frage an Radio Eriwan: „Ist Autofahren in Kenia ein bisschen irre?“
Radio Eriwan antwortet: „Im Prinzip ja.” Kein aber.