Bisher war ich kein Freund der Firma Apple. Das diktatorische Verhalten gegenüber Kunden und das kriegerische Gebahren gegenüber Konkurrenten gingen und gehen mir auf die Nerven. Als jüngst Spiegel Online einen neuerlichen Psalm in die Öffentlichkeit entließ, warum der 2011 verstorbene Steve Jobs viel zu früh von uns gegangen sei, reichte es mir eigentlich endgültig. Doch ein Erlebnis am vergangenen Samstag hat mich bekehrt: Der Besuch beim Oktoberfest in Nairobi.
Was hätte alles aus dem Münchner Bankier Andreas Michael Dall’Armi werden können? Zu Ehren der Hochzeit des damaligen bayerischen Kronprinzen Ludwig und seiner Frau Theresia, veranstaltet er im Jahre 1810 ein Pferderennen und begründete so das spätere Oktoberfest. Und was tat er dann? Anstatt sich den Markennamen „Oktoberfest“ zu sichern, das Geschmacksmuster zu patentieren und eine Stiftung zu gründen, die über die Einhaltung der Richtlinien wacht, wie ein Oktoberfest auszurichten wäre, wurstelte er weiter im Geldgeschäft und vergab so eine echte Goldgrube.
Man stelle sich vor, Steve Jobs hätte das Oktoberfest gegründet. Dann wären heute im Bierzelt nur Menschen mit Itunes-Account zugelassen, die Hendl hießen nicht Hendl, sondern iBroiler und müssten per App zwei Wochen im Voraus bestellt werden, das Bier würden wir aus 0,2 Liter Krügen schlürfen, weil Steve der Meinung ist, dass zuviel Alkohol ungesund sei, die Musik käme nicht von eine zünftigen Life-Band, sondern über ein Ipod aus der Cloud, die Dekolletés der Wiesn-Bedienungen wäre noch züchtiger verschnürt, weil sich Apple kulturell und gesetzlich seiner prüden US-Heimat verpflichtet fühlte, die Bierzelte würden in blendendem Weiß erstrahlen, die Krachlederne wäre dem schwarzen Rolli gewichen, die Bierbänke wären nicht aus Holz und Stahl, sondern aus Plastik und Aluminium, dafür aber mit perfekten Spaltmaßen, und würden von sebstmordgefährdeten chinesischen Arbeitern hergestellt, und jedes Jahr würde das Oktoberfest als „the next big thing“ angekündigt werden, was vor allem mit einer deftigen Preiserhöhung beim Bier einherginge.
Außerdem wäre Apple dann so reich, dass sie ganz Bayern kaufen könnten. All das mag vielleicht viel verlangt sein, aber dafür hätten wir die Garantie, dass wo Oktoberfest drauf steht auch Oktoberfest drin ist.
Die Preiserhöhung kriegen die Münchner immerhin auch ohne Steve Jobs hin. Aber sonst?! Die Oktoberfeste weltweit heißen zwar so, befinden sich aber in einer Grauzone von Gesetz- und Geschmacklosigkeit, von Ignoranz und Traditionsferne. In Fredericksburg, Texas, zum Beispiel werden schon seit Jahrzehnten ungestraft Gerichte verkauft wie „Hansel & Gretel“, „Opa’s Smoked Sausage“ oder „Pfeffernusse“, zu trinken gibt es heiße Schokolade oder Kirschlimonade, anscheinend aber kein Bier, und zur Musi spielen auf „The Swinging Dutchman“ oder die „Havlak Batla Polka Time Band“. Und was ist mit TGIOF, The Great Indian October Fest, in Bangalore? Ich war selbst noch nicht dort, aber wenn ich lese, dass dort Bands wie „Chronic Xorn“ auftreten, deren jüngstes Album „Death Destruction Sermon“ heißt, denke ich an alles, nur nicht an ein Prosit der Gemütlichkeit.
In Nairobi war das Oktoberfest etwas besser, aber nicht viel. Am Eingang bekam jeder ein kleines Bierkrügl aus Glas in die Hand gedrückt, als Gegenleistung für ca. 12 Euro Eintritt. Sicherlich war das gut gemeint, doch prangte auf dem Glas eine für den echten Wiesn-Traditionalisten schlechte Nachricht, nämlich Werbung für südafrikanisches Bier. Gut, in manchen Ländern ist deutsches Bier schwer zu bekommen, in Kenia ist das allerdings kein Problem, sogar die kleine Tankstelle in unserer Straße verkauft Bitburger. Nicht dass ich jetzt finde, Bitburger gehöre ins Bierzelt, aber ich wollte es doch mal erwähnen.
Derart traditionsfern begrüßt, befürchtete ich das Schlimmste. Und es trat ein. Nicht sofort, denn zunächst schien sich alles zum Guten zu wenden. Die südafrikanische Band hatte sich als Oompah-Band angekündigt, die anglisierte Version von Humba-Täterä-Musik. Tatsächlich konnten sie den Blasmusik-Stil ganz gut und vergaßen auch nicht, alle paar Minuten die „Ein Prosit der Gemütlichkeit“-Routine einzustreuen, die zum Bierzelt gehört wie die Gesänge in der Fankurve im Fußballstadion. Als aber der südafrikanische Sänger mit deutlichem Akzent „Zicke-zacke-zicke-zacke“ rief, was die Zeltbesatzung üblicherweise mit einem geschmetterten Hoi-Hoi-Hoi beantwortet, war‘s mit der Oktoberfeststimmung vorbei. Aus dem markigen deutschen „Z“ war ein weiches „S“ geworden und das Ergebnis lautete „Sige-sage-sige-sage“, dementsprechend matt erklang das Hoi-hoi-hoi.
Verschiedene weitere Sakrilege wurden begangen. Das am Eingang verteilte Bierkrügl fasste 0,5 Liter, die Bierflaschen – nein, es gab kein Fassbier! – aber nur 0,3 Liter, woraufhin das Glas nur zu etwa drei Vierteln gefüllt war. Wer die Dramen um schlecht eingeschenkte Maßkrüge kennt, der weiß wovon ich rede. Vielleicht gab es deshalb ja auch eine Zwangsabnahme von zwei Drinks auf einmal. Als ich anfing herumzustreiten, dass ich jetzt gerade aber nur ein Bier wolle, hieß es, dann solle ich halt noch ein Wasser dazunehmen. Und wenn ich jetzt aber kein Wasser wollte? Dann hätte ich eben Pech gehabt. Später machten die Veranstalter noch das Motto wahr, das sie auf die Eintrittskarte gedruckt hatten: „German Culture meets Kenyan Diversity“. Nach relativ kurzer Zeit verließ die Oompah-Band die Bühne und wurde ersetzt von einer sehr lauten kenianischen Soulband, die sich in jedem dance club der Stadt ausgezeichnet genacht hätte, nur eben nicht auf einem Oktoberfest.
Bei Steve hätte es das nicht gegeben. Er hat durchgesetzt, dass Apple die einzige Firma sein darf, die Geräte mit runden Ecken baut. Wer das kann, schafft alles, auch dass auf Oktoberfesten weltweit Bier aus Fässern ausgeschenkt, Blasmusik gespielt und Zicke-zacke mit scharfem „Z“ und nicht mit weichen „S“ ausgesprochen wird.