Wozu sich also aufregen

Lieber Markus,

selbstverständlich erinnere ich mich noch an Donald, die Peking-Ente, die wir erst lackierten und dann zum Trocknen aufhängen wollten. Ich weiß nicht mehr warum, aber ich entschied mich für die Unterseite des Küchentischs, in dessen Holz ich einen Haken drehte.

Bald baumelte dort Donald, wie eine des Lebens überdrüssige Hauptspeise. Da es Abend wurde und meine damalige Freundin noch nicht zuhause war, hängte ich einen Zettel an die Küchentüre auf den ich schrieb: „Achtung, unter dem Tisch hängt eine tote Ente!“

Zurück nach Ghana. Wie die Restaurants hier sind, wolltest Du wissen. Service, Küche, Ambiente und Preis sind die üblichen Kategorien bei Restaurantkritiken, oder? Lass‘ uns über den Service reden. Auf die Gefahr hin, mich nun gleichzeitig mit einer Großmacht und einem Entwicklungsland anzulegen, umreiße ich kurz die mögliche Bandbreite der Servicequalität.

Am einen Ende der Skala befindet sich das US-Modell. Hier fragt alle paar Augenblicke eine ambitionierte Servicekraft nach, ob noch alles in Ordnung sei, egal ob man gerade mit vollen Backen kaut oder ins Gespräch vertieft ist. Das Essen ist nach spätestens 17,2 Minuten zu Ende, inklusive Kaffee und Dessert. Am anderen Ende der Skala befindet sich das ghanaische Modell.

Eines Sonntags studierten wir eine von Gerichten geradezu überquellende Karte. In Erinnerung an gefühlte fünfhundert Mal Chicken & Rice der vergangenen Wochen bestellten wir Spaghetti Bolognese. Kurzweilige 30 Minuten später wurden wir darüber informiert, dass Spaghetti aus seien. Von der riesigen Speisekarte blieb nur wenig. Immerhin gab es Chicken & Rice.

Ein anderes Mal besuchten wir das Restaurant im besten Hotel Accras und bestellten jeder eine Speise und ein Getränk, also insgesamt vier Positionen. Die Kellnerin schrieb alles penibel auf, und wenn ich „alles“ sage, dann meine ich das auch. Sie notierte den genauen Wortlaut des Gerichts in der Speisekarte, also nicht etwa „Tilapia, Red-Red“, sondern „Freshly caught and grilled Tilapia fish with spicy Red-Red“.

Das Problem war nicht die Gewissenhaftigkeit der Niederschrift, im Gegenteil, eine schöne Abwechslung zur Ziehung der Lottozahlen im Chinarestaurant. Das Problem war, dass sie etwa 25 Minuten später wieder an Tisch kam und die Bestellung erneut aufnehmen wollte. Sie hatte einfach alles vergessen, auch den Zettel.

Das Leben ist langsamer hier. Man lernt Geduld zu haben und Demut. Heute Morgen hatte ich um 11.30 Uhr ein Meeting, das für 10 Uhr verabredet gewesen war. In Deutschland hätte ich nach spätestens einer halben Stunde vor Wut gekocht und wäre gegangen. Hier saß ich geduldig auf einem der vor dem Schreibtisch aufgereihten Stühle und versank in Kontemplation. Nach einer Weile fühlte ich nichts als stille Heiterkeit. Das Meeting war ein voller Erfolg. Wozu sich also aufregen.

Viele Grüße aus Accra,

Michael