Samstagnachmittag, ein Einkaufszentrum in Nairobi, Erdgeschoss. Ein Mini-Baumarkt, ein Supermarkt, eine Apotheke, das schwarze Brett mit den Gebrauchtwagen, ein Pianist klimpert Smoothjazz am weißen Flügel. Dahinter die Konditorei, an deren Theke wir gleich Zeugen lebensbedrohlicher Dramen werden.
Gerade deute ich auf eine Art Kirsch-Tarte in der Vitrine, da stößt E. mich in die Seite und sagt, „schau mal.“ An der gegenüberliegenden Theke öffnet eine Mitarbeiterin des Cafés eine Weinflasche. In der einen Hand hält sie die Flasche, in der anderen ein langes Brotmesser, mit dem sie versucht, den Korken aus der Flasche zu sägen. Drei weitere Mitarbeiter stehen dabei und schauen interessiert zu. Das Kopfkino geht mit mir durch. Ich sehe wegfliegende Finger und Fontänen von Blut.
Jemand sollte einschreiten.
Eigentlich bin ich ein zurückhaltender Mensch und mische mich nur ungern ein. In letzter Zeit hat sich das etwas geändert. Ein Beispiel. Am Eingang eines Schuhgeschäfts empfing mich ein Spalier von sechs Verkäuferinnen, die gerade wohl nichts Besseres zu tun hatten, als am Eingang zu stehen. Was ich denn bräuchte. Schnürsenkel. Schnürsenkel gäbe es an der Kasse. Ich dankte, und während ich weiterging, hörte ich, wie die ganze Schar in Gelächter ausbrach: Schnürsenkel – kicherkicher – Schnürsenkel!
Als ich samt neuer Schnürsenkel (kicherkicher) den Laden verlassen wollte, standen sie immer noch an der Tür. Ich fragte, was denn so erheiternd gewesen sei. Einerseits wollte ich es wirklich wissen, vielleicht hat das Wort „Schnürsenkel“ in Kenia ja eine zweite, irre lustige Bedeutung. Andererseits wollte ich andeuten, dass mich das Gelächter etwas irritiert hatte. Alle verstummten betroffen und schämten sich sichtlich. Schließlich sagte eine, nein, Schnürsenkel seien an sich nicht lustig. Nur in diesem Moment hätten sie es alle so komisch gefunden.
Wegfliegende Finger und Fontänen von Blut. Jemand sollte einschreiten an der Kuchentheke und unfreiwillige Amputationen verhindern. Ich eile hinüber und rufe „Stopp!“ oder „Halt!“, was man so ruft, wenn jemand eine Weinflasche mit dem Brotmesser öffnen will. Ob sie denn keinen Flaschenöffner hätten? Doch, sagt einer von der Kuchenthekenbesatzung, und zieht ihn aus der Schublade – Stahlspirale in der Mitte, zwei Griffe zum Heraushebeln des Korkens. Warum sie den denn nicht benutzen? Sie wüssten nicht, wie.
Ich zeige es ihnen.
„Aaahaa, ach so funktioniert das Ding!“
Hach ja, seufzt da der Westeuropäer und räkelt sich behaglich im goldenen Schein seiner Kultur, nicht einmal Weinflaschen können sie hier öffnen! Blödsinn, natürlich können sie das nicht. Der junge Mann, der geduldig an der Kuchenvitrine meinen Einsatz abwartet, wird mir gleich eine Kirsch-Tarte im Wert seines Tagesverdienstes auf den Teller heben. Am Ende seiner Schicht wird er sich in einen überfüllten Kleinbus setzen und sich durch die Hölle des Feierabendverkehrs nachhause quälen. Den Abend wird er in ein einem vielleicht 10 Quadratmeter großen Einzimmerhäuschen mit Wellblechdach verbringen, in dem es, wenn er Glück hat, elektrischen Strom gibt, aber ganz bestimmt keinen Wein.
Ob ihnen noch nie einer den Weinöffner vorgeführt hat, will ich zum Abschied wissen.
Nein, keiner.
Skandalös ist nicht, dass die Mitarbeiter eines Cafés, in dem Wein verkauft wird, nicht wissen, wie ein Flaschenöffner funktioniert. Skandalös ist, dass der der Besitzer des Cafés es ihnen nicht gezeigt hat. Zur Strafe sollte man ihn zwingen, 100 weiche Weißbrote mit dem Flaschenöffner in gerade Scheiben zu schneiden.
…
Eigentlich ist hier das Ende der Geschichte. Aber was soll das mit dem Zufall im Titel? Zwei Wochen vor dem Zwischenfall an der Kuchentheke waren wir zu einer schönen Abendgesellschaft in Nairobi eingeladen. Zu fortgeschrittener Stunde, und nach Genuss einiger Flaschen Rotwein, führte uns der Gastgeber seine etwa 100 Exponate umfassende Korkenziehersammlung vor.