Okay, okay. Bevor mir jemand draufkommt, sag‘ ich es lieber gleich, es brennt mir sowieso seit mehr als 35 Jahren auf der Seele: Ich habe in der dritten Klasse in Mathe von meiner Nebensitzerin Birgit abgeschrieben. Sie war blond, ich war doof, und meine Grundschullehrerhin schaute gerade zum Fenster hinaus. Wenn ich damals gewusst hätte, was für Folgen das haben könnte, mir wäre das Pausenbrot im Hals steckengeblieben. Da hätte nur noch Capri-Sonne geholfen.
So, nun ist es also raus. Ich bin ein Schwindler, aber so richtig von Anfang an. Dank guter Grundschulzeugnisse schickten mich meine Eltern aufs Gymnasium. Trotz schlechter Noten dort – ich war halt mehr mit dem Pubertieren beschäftigt – durfte ich studieren. Weil ich studiert hatte, bekam ich ein Volontariat. Und weil ich ein Volontariat hatte, stach ich einen Mitbewerber bei meinem ersten Job aus. Was jetzt? Alles retour? Gehälter zurückzahlen, Jobs an andere abgeben, die sie wegen mir nicht bekommen haben, dann auf die Realschule, vielleicht Kfz-Mechaniker. Leben in „fast reverse“.
Haben wir nicht alle, irgendwie, irgendwann, irgendwo? Das soll keine Entschuldigung sein, weder für mich, noch für andere Leute. Aber Schwindeln gehört doch zum Geschäft. Die Demokratie bringt es mit sich, dass wir uns quasi selbst, also unsere bürgerlichen Ebenbilder, in die politischen Ämter wählen. Dementsprechend öde und bürgerlich sind die Skandale. Ui, einmal zu viel und zu schlecht aus dem Internet kopiert! Einer, der jährlich gewieft die Steuererklärung fälscht, hat dagegen schon fast das Niveau eines Bond-Bösewichts. Da lobe ich mir solche Sachen wie die Halsbandaffäre (Moment, erst hier fertiglesen, dann klicken) von Marie-Antoinette. Das hat Klasse, das hat Stil, und wurde geplant und ausgeführt von Experten der Intrige.
Obwohl, jetzt, wo ich so drüber nachdenke, der Dings ist ja auch ein Adeliger. Halt nur ein ganz kleiner, ein Freiherr, aus Franken, aber trotzdem. Wozu braucht der eigentlich einen Doktor? Ganz einfach, weil der Adel in Deutschland seit 1919 abgeschafft ist. Ist also nichts mehr wert, so ein Titel. Theoretisch jedenfalls, praktisch schon. Gala-Leser wissen mehr. Adelige füllen dort überrepräsentiv die Seiten. Ernst-August, Gloria und Ferdinand erfreuen uns seit Jahren durch absolut vorzeigbare Skandale. Das können sie sich auch leisten, denn weder den Adelstitel noch ihre Reichtümer kann man ihnen nehmen. Wer so fest im Sattel sitzt, kann auch beim Reiten pinkeln.
So, glaube ich, wir kommen der Sache näher. Der Doktor ist die Selbstadelung des Bürgers, weil der Bürger schon immer durch Wissen und Kompetenz dem Adel den Rang ablaufen wollte. Wodurch auch sonst? Hätte man also den Adel gelassen wie er ist, dann hätte sich der Dings jetzt nicht mit bürgerlichen Statussymbolen schmücken müssen. Er würde seinen Freiherr goldgeprägt auf die Visitenkarte drucken, wir würden ihn mit Euer Hochwohlgeboren anreden, und gut wär’s. Außerdem hätten dann die Bürger wenigstens eine Sache, die sie dem Adel voraus haben. So wären alle zufrieden.
Was heißt das jetzt? Der Plaggi-Skandal sollte uns dazu ermutigen, die Monarchie endlich wieder einzuführen. Dann müssten wir nicht mehr den Langweilern aus England, Holland und Schweden beim Heiraten zuschauen, sondern könnten endlich selbst wieder – verfassungsrechtlich abgesichert – Adel „Made in Germany“ genießen und ihn sogar exportieren. Lady Gu statt Lady Di. Die Volkswirtschaft braucht schließlich jeden Cent. In Wahrheit hat sich der Dings auch gar nicht blamiert, wie alle behaupten, er hat sich gehäutet. Von der Raupe zum Schmetterling. Runter mit der Spießbürgermaske, zeig’ Dein wahres Gesicht. Bewirb‘ Dich als König, der Kronprinz der Herzen bist Du laut Umfragen sowieso schon.
Ach ja, und noch eins: Ich habe damals in der 3. Klasse natürlich nicht abgeschrieben. Habe ich nur als Einstieg gebraucht. Auch dieser Blog braucht mal seinen eigenen, kleinen Betrugsskandal. Zurücktreten tue ich deshalb noch lange nicht.