Mein erstes Kindle (Teil 1)

Das Kleine ist 19 Zentimeter lang und 241 Gramm schwer. Laufen kann es nicht, dafür aber schon Sprechen. Es ist recht unterhaltsam, wird nicht schnell müde, und wenn, dann schläft es gut durch. Nein, ich bin nicht Vater eines sehr kleinen Wunderkinds geworden. Vielmehr habe ich mir an Weihnachten ein elektronisches Buch gekauft, das auf den Namen Kindle hört. Vorgestern waren alle Bücher ausgelesen, die ich im Koffer mit nach Kenia geschleppt hatte. Zeit für eine erste Begegnung mit meinem ersten ebook.

Ich kann nicht mit Büchern, und ich kann nicht ohne. Vor allem bei Umzügen habe ich sie immer verflucht. Sie sind schwer, staubig, nehmen Platz weg und schauen mich beleidigt an, wenn ich sie nicht oder nur halb gelesen in die Kiste packe. Verleihe ich, sehe ich sie nie wieder. Verleihe ich sie nicht, stehen sie nur dumm herum.

Und das sind nur die Probleme mit Büchern, die ich bereits besitze.

Noch viel schlimmer ist es mit denen, die ich nicht habe, aber gerne hätte und nicht dran komme. Vergangenen September hatten wir uns – noch in Ghana – ein paar Bücher beim Online-Großversender bestellt. Ein Kollege hatte geschworen, dass er das seit Jahren mache und die Bücher nach zwei Wochen verlässlich bei ihm ankämen. Prima, dachten wir.

Als sie Ende November noch nicht da waren, bestellte ich trotzig das ebook. Im Januar, auf dem Weg nach Kenia, erinnerte ich mich noch einmal an verschollene Sendung und stellte mir vor, wie sich ein ghanaischer Zöllner nach Feierabend nun die große, schwere Biographie Karls des Großen reinpfiff. Viel Vergnügen, dachte ich, und freute mich über die Wunder der Technik, die mich von nun an von solchen Problemen befreien sollten.

Ob das funktioniert hat, oder nicht, sollen die folgenden Top 5 zeigen.

Top 5 der nervigsten Gründe, die gegen ein ebook sprechen:

1) Die Bücher, die ich will, gibt es nicht in der ebook Version. Amazon wirbt mit über 500.000 erhältlichen ebooks. Man sollte meinen, dass da auch eins für mich dabei wäre. Doch meinen ersten Bestellversuch brach ich beinahe ab, weil ich keines fand, das ich haben wollte, oder keines haben wollte, das ich fand. Entweder gab es die Bücher überhaupt nicht in der elektronischen Version, oder sie waren aus lizenzrechtlichen Gründen für meine Region, „Afrika“, nicht erhältlich. Seltsam. Mit Büchern aus Papier hatte ich damit noch nie ein Problem, egal, wo auf der Welt ich mich gerade befand (außer dass sie nicht ankommen, was auf dasselbe Ergebnis hinausläuft: Ich habe das Buch nicht). Am Schluss habe ich aus Verzweiflung einen Bestseller-Krimi gekauft, obwohl ich Krimis nicht ausstehen kann. Ich wollte halt endlich mal ein ebook-Leseerlebnis haben.

2) Es gibt keine Seitenzahlen. Erst nach einer Weile fiel mir auf, dass ich gerade nicht Seite 47 las, sondern mich bei 22 Prozent des Buches befand. Ein Balken am unteren Rand soll das Gefühl dafür vermitteln, wie weit ich im Buch schon gekommen war. Das ist Mist. Mir ist deutlich wohler, wenn ich durch bloße Haptik ständig darüber informiert werde, dass – je nachdem, wie mir das Buch gefällt – leider nur noch, oder – oh Gott! – noch so viele Seiten vor mir liegen. Sicherlich gibt es gute Gründe für die Abwesenheit von Seitenzahlen. In einem ebook kann man beispielsweise die Schriftgröße verändern, was sich natürlich entsprechend auswirkt. Ich kann mir gut vorstellen, wie sich zwei Freunde mit unterschiedlicher Sehstärke über die tolle Stelle auf Seite 81 streiten. Gestern habe ich die Firmware des ebooks aktualisiert. Einer der angepriesenen Neuerungen dieser Version war die Einführung von Seitenzahlen, allerdings noch lange nicht flächendeckend für alle Bücher. Wenn das Gutenberg wüsste.

3) Vor- und zurückblättern bringen mich um den Verstand. Da ich Krimis nicht leiden kann, lese ich die endlosen Beschreibungen von Charakteren, Szenen, Landschaften und technischen Details meist quer. Eigentlich will ich nur den Plot wissen, und der ist meist dürftig. Deshalb verstecken Krimiautoren in den ausufernden Details gerne Hinweise auf den Täter, das Motiv oder sonst irgendetwas, das die Geschichte weiter vorwärts treibt. Das bemerke ich dann, wenn plötzlich von etwas die Rede ist, was ich nicht kenne. Also muss ich zurückblättern, was im Einzelfall zwar per Knopfdruck ganz flott geht, in der Masse dann aber zum nervigen Daddeln ausartet. Vor allem kann ich auch nicht den Scan-Blick anwenden, der auf der Suche nach einer Textstelle selbst bei flottem Durchratschen der Seiten meist gut funktioniert. Vorblättern: siehe zurückblättern.

4) Ein ebook hat keinen Einband. Puristen mögen nun die Nase rümpfen und sagen, es kommt doch auf den Inhalt an und nicht auf das, was das Verlagsmarketing für verkaufsfördernd hält und auf den Buchrücken pinselt. Es ist halt so eine Angewohnheit: Ich sehe ein neues Buch, schaue mir die Titelseite an, drehe es dann um, um die aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate der Feuilletonisten zu lesen. Wie es funktioniert, weiß ich auch nicht, aber wenn ich aufs Geratewohl nach Büchern suche, hilft mir dieser Gesamteindruck aus Aufmachung, Marketing-Gesülze und stichprobenhaftem Hineinlesen bei der Entscheidung für oder gegen.

5) Kaffeeflecken ab sofort auf jeder Seite. Ok, das ist jetzt vielleicht albern, aber mir tropfte der Kaffee auf den Bildschirm und hinterließ dort ein paar Flecken. Ich habe sie natürlich gleich abgewischt. Mit einem Papierbuch wäre das nicht möglich, würde zu kurzfristig aufwallendem Ärger führen, der dann, je weiter man die Seite mit dem Fleck beim Vorwärtslesen hinter sich lässt, nach und nach abflaut. Einen Fleck hatte ich beim Wischen übersehen und blätterte um. Da war er natürlich wieder, oder besser: immer noch. Auch auf der nächsten und der nächsten und der nächsten Seite. Ich sagte ja, albern. Aber ich finde es doch bemerkenswert, dass sich im Zeitalter der prinzipiell endlosen Vervielfältigung durch Digitalisierung auch der Kaffeefleck gleich mit kopiert.

Meine Güte. Das ist viel länger geworden, als ich dachte. Deshalb wird der zweite Teil auf morgen verschoben.

Bis dahin noch das folgende Schmankerl: Gestern, am 23 Februar, schrieb mir E., die gerade auf Dienstreise in Ghana ist, dass das Paket eben angekommen sei. Ist das ebook also nur Ausdruck neuzeitlicher Ungeduld? Karl der Große ist schließlich seit 1200 Jahren tot. Da kommt es auf ein paar Monate hin oder her eigentlich nicht an.