Auf der Suche nach dem neuen Jahr

Wer in der Fremde nach heimischer Tradition feiern möchte, sieht sich mit unerwarteten Problemen konfrontiert. Weihnachten hatten wir zu zweit im Griff, doch meine sonst so verlässliche Silvesterplanung schlug hier völlig fehl. Normalerweise plane ich nämlich gar nichts und werde früher oder später irgendwo eingeladen. Hier in Nairobi sind die Freunde jedoch fern, und deshalb ist Eigeninitiative gefragt. Also taten wir uns mit einem gleichgesinnten Paar zusammen. Start frei für eine Recherche-Orgie.

Den ersten Teil der Nachforschungen übernahm freundlicherweise H., ein Neuzugang in Nairobi, der demnächst vielleicht auch als Firstlady in diesem Blog auftreten wird. Er telefonierte die sechs großen Hotels in Nairobi ab und fragte, ob sie zu Silvester ein Menü, eine Party oder ähnliches veranstalten würden.

Warum eigentlich telefonieren im Zeitalter des Internets? Ganz einfach, weil keines dieser Hotels auf der eigenen Webseite Auskunft zu den Silvesterparties gab. Die Ignoranz des Mediums war so derart konsequent, dass man eigentlich nur System dahinter vermuten konnte. Wenn ich nur wüsste, welches System und wozu.

Wir erhielten also eines Tages von H. eine detaillierte Liste, was es wann, wo und zu welchem Preis zu feiern gäbe. Da aber vier Personen mindestens vier Meinungen haben, war eine Entscheidung nur vor Ort zu fällen. Eines schönen Dezembertages setzten wir uns deshalb ins Auto und kurvten fast den ganzen Tag durch Nairobi auf der Suche nach einer guten Party-Location.

Die Silvesterfeier bekam so einen überraschenden ersten Teil. Denn wir wollten natürlich nicht nur kurz in die jeweiligen Hotels hineinschauen, sondern auch gleich Atomsphäre schnuppern und – wenn möglich – Küche und Service testen. Silvester ist schließlich nur einmal pro Jahr, die Entscheidung für das richtige Hotel wollten wir deshalb nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Das erste Hotel, etwas außerhalb der Stadt, war das Windsor Golf Resort, ein alter oder vielleicht auch nur auf alt gemachter Kasten, der heruntergekommenen britischen Charme versprüht. Nach anfänglicher Begeisterung fielen der ungepflegte Teppichboden, Toilettentüren, die sich von innen nicht mehr öffnen ließen und die “Malen-nach-Zahlen”-Ölgemälde (im Bild links neben dem Pianisten) in der Bar unangenehm auf. Auch konnten sich verschiedene Angestellte des Hotels nicht einigen, wo genau in dem weitläufigen Anwesen die Party eigentlich stattfinden und wann es am 31.12. losgehen sollte.

Spiel's ruhig noch einmal, Sam. Aber mal' bitte nie wieder.

Nächster Halt: Serena-Hotel in der Innenstadt. Es war Mittag und Zeit für einen Snack, der immerhin für drei von vier Hungrigen zur Zufriedenheit ausfiel. Im ersten Stock sollte das achtgängige Menü serviert werden, das ein Kellner stolz aufzählte. Dann wies er auf einen freien Platz mitten im Raum und erläuterte, dass dort die Live-Band spielen würde. “Während des Essens?”, fragten wir. “Ja, während des Essens”, bestätigte er.

Schon öfter haben wir erlebt, dass in Ghana und auch Kenia die Lautstärke Live-Musik in Restaurants ein gesundes Maß bei weitem überschreitet. E. und ich besuchten einmal in einer kleinen Bar in einem kleinen Dorf. War es Zufall oder nicht, kaum hatten wir uns gesetzt, stellte die Besitzerin die Musik an, und zwar so laut, dass ich die Schallwellen auf der Oberfläche meiner Cola verfolgen konnte und auch die Bewohner des nächsten Dorfes noch glasklaren Empfang hatten.

Darauf wollten wir es nicht angekommen lassen. Wir besuchten Hotel Nummer 3, das renovierte New Stanley, ebenfalls im Zentrum Nairobis. Dort erlebten wir einen echten Klassiker der Entscheidungsfindung in einer Gruppe. Kaum hatten wir uns für ein Kaltgetränk niedergelassen, fragte einer, warum wir nun eigentlich hier seien. Es stellte sich heraus, dass das Hotel gar nicht auf unserer Liste stand und keiner wusste, was wir hier eigentlich wollten.

Hotel Nummer 4 war das ehrwürdigste von allen: Das Fairmont Norfolk, gleich hinter der Nairobi University. Dort stehen noch Menschen in Frack und Zylinder am Eingang und reißen schwungvoll die Autotüren auf, wenn man sie lässt. Zunächst machte der Laden einen guten Eindruck, doch dann besichtigten wir das Restaurant, das uns alle irgendwie an die Kantinen unserer jeweiligen Studienorte erinnerte.

Schließlich entschieden wir uns doch für das erste Hotel, das mit dem angegliederten Golfclub. Und alles war gut, der Wein, der Spaziergang über den dunklen Golfplatz, sogar die Ziegenlippen, die direkt neben dem Ziegenhirn und der Ziegenniere auf dem Grill lagen.

Achtung Warnhinweis: Vegetarier bitte wegschauen!

Ich war eine Ziege. Welcher Teil Hirn, Lippe oder Niere ist, überlasse ich Eurer Phantasie.

Auch die Leuchttafel, auf der normalerweise die Ergebnisse der Golfturniere angezeigt werden, war hilfreich. Ab Mitternacht zeigte sie etwas müde flackernd noch einmal an, weswegen wir hier waren. Das Silvesterfeuerwerk war nämlich auf Anweisung der Regierung ausgefallen. Man könnte die Böller und Raketen irrtümlich für terroristische Anschläge halten, hieß es.

Frei nach der Punkband „Die Goldenen Zitronen“ sage ich deshalb: „Man kann auch ohne Feuerwerk fröhlich sein“ und wünsche allen ein frohes neues Jahr 2012.