Die Kuchen-Krise

Früher hatte ich entspanntes Verhältnis zu Kuchen. Erst, so ab Kleinkindalter, aß ich sie gerne. Dann, ab mittlerem Erwachsenenalter, fing ich selbst zu backen an. Die Eigenproduktion von Teigwaren dieser Art führte sogar in eine kurze tiefenpsychologische Krise. Doch das ist nichts gegen die Krise, in der ich mich zurzeit befinde. Denn seitdem ich in Kenia bin, gelingen mir keine Kuchen mehr. Sie gehen einfach nicht mehr auf.

Wenn man etwas schon oft getan hat, dann wird es irgendwie zum Bestandteil der eigenen Realität, beinahe wie ein Körperteil. Wie die meisten anderen auch, habe ich zwei Hände. Solange sie das tun, was sie tun sollen, Schreiben, Händeschütteln oder Zähneputzen, denke ich nicht weiter über sie nach. Genauso ist es auch mit dem Kuchenbacken, jedenfalls mit den einfacheren Rezepten wie Rührkuchen.

Wie in Ghana gewohnt, wollte ich im Februar am neuen Herd in Kenia einen Marmorkuchen herstellen. Nichts leichter als das, dachte ich, gemischt, gerührt und ab damit in den Ofen. Als ich nach zehn Minuten durchs Fenster ins Backrohr blickte, ahnte ich schon, dass da etwas schief läuft. Der Teig waberte weit unter dem Pegelstand, den ich gewöhnlich in meiner Kastenform erwarten kann.

Dinge, die plötzlich nicht mehr so funktionieren wie eh und je, führen zu einem Riss in der Realität. Man hält inne und beginnt zu zweifeln. So auch ich. Hatte ich etwa das Backpulver vergessen? Beim nächsten Backen schrieb ich mir vorsichtshalber einen Zettel auf dem Stand: “Backpulver nicht vergessen!”. Ich vergaß es denn auch nicht. Es half aber nichts: Auch dieser zweite Kuchen brachte es auf höchstens drei Zentimeter Höhe.

Ein Kuchen der nicht aufgegangen ist, hat etwas von einem Schwermetall. So klein er ist, so überraschend schwer liegt er in der Hand. Das hat natürlich auch Vorteile. Bei gleichem Nährwert, nimmt der gescheiterte Kuchen viel weniger Platz im Kühlschrank ein. Nur der Genuss der hochkomprimierten Masse ist einfach nicht derselbe.

Kopfschüttelnd stand ich in der Küche über die Backform gebeugt. Aus den Tiefen stieg eine Erinnerung empor. Ans Erwachsenwerden. Jeder hat vermutlich einen Moment im Leben, in dem er feststellt oder wenigstens festzustellen glaubt: Jetzt bin ich erwachsen. Bei mir war das, als ich meinen ersten Kuchen buk. Ich hatte den Teig in die Form gefüllt und begann – wie von je her gewohnt -, mit dem Finger ein bisschen vom Rest aufzulecken, der in der Schüssel geblieben war.

Ka-tsching!! Es traf mich hart. Mit dem Finger die Teigreste abgreifen, hatte ich bisher nur in der Küche meiner Mutter getan, das letzte Mal vermutlich als Teenager. Und nun stand ich da, in meiner kleinen Berufsanfängerküche, den Finger voller Teig und den Kopf voller Erinnerungen. Übrigens liebe ich doppelte Erinnerungen, also dass ich mich daran erinnere, wie ich mich an etwas erinnert habe. Hat etwas von Matrix oder vielleicht auch von Inception.

Zurück in der kenianischen Gegenwart versuchte ich daraus schlau zu werden. Ich ging die Sache methodisch an. Kontrollierte noch einmal das Thermometer im Ofen. Wie ein Pilot: Temperatur ok. Luftfeuchtigkeit ok. Dann ein Blick ins Kochbuch: Mehl ok, Zucker ok, Eier ok. Technisch gesehen war alles in Ordnung. Sollte es in Kenia Kuchendämonen geben? Oder wollte mir mein Unterbewusstsein etwas mitteilen? Würde man mich bald in embryonaler Haltung und mit dem Daumen im Mund vor der Ofenklappe finden?

Ich gab nicht auf. Buk Kuchen um Kuchen. Wechselte die Marke des Backpulvers. Las in Online-Foren, wo sich Backexperten die Köpfe einschlugen. Variierte die Menge der Zutaten, nahm ein Ei mehr, dann eins weniger. Buk heißer und kälter, dann mit wechselnden Temperaturen, mal langsam erhitzend, mal mit Hitzeschock. Es half nichts. Die Kuchen blieben flach und weit unter ihrem Niveau.

Heute, etwa zwölf Kuchen später, habe ich mich daran gewöhnt. Nur den Gästen gegenüber sind die Flachkuchen etwas erklärungsbedürftig. Keiner will das ständige Scheitern hinnehmen. Alle haben gute Ratschläge. Ich lächle still dazu. Das Wort „lecker“ kommt ihnen nur gequält über die Lippen. Auch E. hegt gewisse Zweifel. Sie sagt, ich backe nur deswegen Rührkuchen, weil ich mir etwas beweisen will.

Selbstverständlich wies ich das sofort weit von mir. Mürbeteig ist doch auch keine Lösung, raunzte ich. Nachdenklich machte es mich aber doch. Wenn Männer um Mitte vierzig sich etwas beweisen wollen, dann besteigen sie den Mount Everest, springen mit dem Fallschirm ab, fahren Harley oder nehmen sich Freundinnen, die schon in Kürze Abitur haben werden. All diese Symptome weisen relativ eindeutig auf eine saftige Midlife Crisis hin.

Sollte das der Grund für meine flachgebliebenen Marmorkuchen sein? Ein Symbol für das Leben, dem allmählich die Luft ausgeht, oder vielleicht für Erektionsstörungen, schließlich bleibt hier etwas kleiner, als es sein sollte. Aber warum auch nicht. Schon der Alte Fritz sagte, es solle doch jeder nach seiner Façon selig werden. Captain Ahab jagte Moby Dick, Captain Kirk die unendliche Weite, Indiana Jones den verlorenen Schatz, und ich, naja, ich jage halt den aufgegangenen Marmorkuchen.

Der Vorteil ist: Dazu kann man meist daheim bleiben und muss nicht einmal die Hausschuhe ausziehen.