Sommer, semantischer

Morgens begegnet mir immer ein Vermummter, und das direkt vor der Türe. Irgendwie unheimlich. Glücklicherweise grüßt er mich immer freundlich. Es ist der Tagwächter, der ab 6 Uhr in der Früh von seinem Stuhl aus das Grundstück sichert. Da es nachts hier sehr frisch ist, kleidet er sich wie ein Polarforscher mit Mütze, Schal, Mantel und Handschuhen. Heute morgen sah ich aber seinen kahlen Kopf in der Sonne glänzen. Da wusste ich: Es wird wieder wärmer.

Manche schauen Wetterbericht, andere installieren eine dieser lustigen Wetterstationen mit Außenfühlern, die einem mit Symbolen das Klima draußen mitteilen. Natürlich könnte man auch einfach ein Fenster öffnen, aber es ist auch schon ein alter Hut, dass im Zeitalter von Fernsehen und Internet das Abgebildete oft echter wirkt als das Echte. Wir hier in Nairobi haben es da etwas authentischer. Wir müssen einfach nur nach unserem Wächter schauen. Trägt er Mütze, heißt das: Jacke an. Zeigt er Glatze, darf es auch etwas leichteres sein.

Der Irrtum ist ebenso weit verbreitet wie unzerstörbar, nämlich dass es in Afrika immer warm ist. Vielleicht habe ich durch mein Gejammer, als ich noch in Ghana wohnte, auch dazu beigetragen. Aber hier in Kenia war es während der vergangenen acht Wochen überhaupt nicht warm, nicht einmal ansatzweise. Abends saßen wir wie zwei Rapper auf dem Sofa, die Kapuze des Sweatshirts tief ins Gesicht gezogen. So ein Kamin geht halt nicht von alleine an, und Feuer machen ist, wie ich herausgefunden habe, eine ebenso große Kunst wie Rührkuchen backen.

Nun gehört es zu den Konstanten der Menschheit, dass Frauen kalte Füße haben und dass Männer den Gentlemen geben und diese Eiszapfen zu wärmen suchen. Meist fällt diese Geste relativ leicht, was natürlich keiner zugibt. Wir reichen die wärmende Hand, nicht ohne dabei selbstgefällig zu bemerken, es sei doch überhaupt nicht kalt. Dabei könnte der Fröstelnden in diesem Moment nichts egaler sein, als das. Wir sagen es aber trotzdem. Es gehört zum Ritual.

In letzter Zeit geriet diese Konstante jedoch mehr und mehr ins Wanken. Seit ein paar Wochen neige ich dazu, wie ein Ferkel zu quieken, das jemand vom Trog zerrt, wenn sich durch Öffnungen in der Kleidung, durch Ärmel, Hosenbeine oder einfach unter dem Bund durch, auf der Suche nach Linderung die vertrauten Eisbeine schoben. Mir war einfach auch kalt, und das war eine harte Probe für die Beziehung. Nicht nur, weil ich eine meiner zentralen Aufgaben nicht mehr zu erfüllen bereit war, das Wärmen, sondern auch durch den Kampf um die Ressourcen.

Unser Boiler, der die Badewanne versorgt, ist nicht sehr groß. Was also, wenn zwei Personen ein heißes Bad nehmen wollen? Ich argumentiere dann, dass ich aufgrund meiner deutlich größeren Körpermasse viel mehr Wasser verdränge und daher bei einem Vollbad weniger davon verbrauche. Leider führt die Kälte aber nicht dazu, dass das Gehirn der Gegenseite schlechter arbeitet. Also ernte ich damit nur Spott und verliere die Pole Position auf dem Weg ins Bad.

Immerhin bleibt mir die Kanne mit Zitronengrastee, an der ich mir die Hände wärmen kann, während ich es in der Ferne genüsslich plätschern höre. Ja, als First Lady muss man Opfer bringen. Irgendwelche haltlosen Romantiker werfen jetzt ein: Dann badet doch gemeinsam. Dazu kann ich nur sagen: Beim Frieren ist jeder allein und nur darauf aus, dass auch das letzte Stück Haut von warmem Wasser bedeckt ist. In einer Normwanne aus den 70ern klappt das bei einer Besatzung von mehr als einer Person leider nicht.

Doch wie gesagt, jetzt wird es ja wieder wärmer. Der Winter ist vorbei. Natürlich heißt das hier nicht Winter. Sämtliche Jahreszeiten sind unbekannt. Es gibt nur die kleine und die große Regenzeit. Die Große sollte längst vorbei sein, und die Kleine erst im November beginnen. In welcher befinden wir uns eigentlich? Ich glaube keinem Reiseführer mehr, und auch die Kenianer sind verwirrt.

Apropos Verwirrung: Wäre Vivaldi Kenianer gewesen, wie hätte er seine berühmten Konzerte wohl genannt, etwa „Due Stagioni Delle Piogge“? Und würde dann die Pizza auch so heißen? Und würde sie dann jemand essen wollen?