Ein Leben in Malls

Bisher gleicht das Dasein in Nairobi einem Leben in Malls. Jede hat große Zufahrtsstraßen, auf denen man im Vorbeifahren kleine Hunde oder Häschen aus dem Pappkarton kaufen kann und Masai-Tand aus wahrscheinlich chinesischer Massenproduktion. Jede hat große Parkplätze, auf denen fliegende Händler herumlungern und selbstgebrannte DVDs feilbieten. Und jede hat ihre Vor- und Nachteile, und zwar so verteilt, dass ein befriedigendes Einkaufserlebnis den Besuch mehrerer Malls erzwingt.

Zum Beispiel die Village Market Mall, im Norden Nairobis. Um einen zentralen Platz herum reihen sich Imbissstände. Die Atmosphäre am Samstagnachmittag entspricht einem RTL2-Bericht über Bombenstimmung auf Mallorca. Ok, das ist jetzt vielleicht etwas übertrieben. Wahrscheinlich hat sich deshalb Jürgen Drews hier noch nicht blicken lassen. Vielleicht würde er sonst sein „Königtum“ zum Franchise machen. Aber der deutsche Stammtisch feiert hier seine Wiederauferstehung.

Passt auch thematisch ganz gut, weil es dort auch den „German Point“ gibt, was vermutlich mit der deutschen Schule zu tun hat, die gegenüber liegt. Erhältlich sind dort grauenhafte Schnitzel nebst Würstchen und Sauerkraut. Das Gute ist, dass die deutsche Küche hier nicht hintan stehen muss. Sämtliche Buden, ob asiatisch, italienisch oder international servieren äußerst mediokres Futter, was den Erfolg des Food Courts aber sichtlich nicht behindert. Immerhin: In der kleinen Amadeus-Bäckerei neben an gibt es das beste Schwarzbrot am Ort sowie zeitgenössische Ausgaben des Spiegel, die man sich für die Dauer der Speisung ausleihen kann.

Ein paar Meter weiter steht ein Zeitungskiosk, wo es jede Woche genau eine Ausgabe der „Zeit“ zu kaufen gibt, für etwa 9 Euro. Als ich letztens eine zerlesene Ausgabe zum Feuermachen in den Kamin stopfte, wurde mir ganz mulmig. Dachte, dann könnte ich auch gleich Dollar-Scheine nehmen. Zwei Ausgaben bekäme sie wöchentlich, sagte mir die Verkäuferin am Zeitungsstand, aber eine sei immer reserviert. Wie klein die Millionenstadt Nairobi sein kann, wurde mir klar, als ich jüngst bei einem Meeting mit einer Designerin erfuhr, dass ihr deutscher Ehemann derjenige ist, für den die „Zeit“ reserviert wird. Der Glückliche. Wir denken jetzt über die Gründung eines Lesezirkels nach.

Machen wir einen kleinen Ausflug ins Sarit-Center, eine der angeblich ältesten Malls hier. Auf dem Weg vom Parkplatz zum Eingang werde ich immer von den heiteren Klängen des Fitnessstudios begrüßt, das im obersten Stockwerk liegt. Bei der „Spinning-Hour“ sind die Fenster offen und weithin über den Stadtteil Westlands sind die Schreie des Trainers zu hören, der mit „Give me more, I want more“ oder so das Krachen der House-Musik übertönt. Der wahre Grund für einen Besuch in dieser Mall liegt in einem kleine Laden für Bilderrahmen, einem für Computerersatzteile, dem größten schwarzen Brett der Stadt, und einem gut sortierten Geschäft für Gesundheitskrempel. Ich sage nur Dr. Hauschka, glutenfreies Backpulver und Müsli, das nicht schmeckt und – dem Gesetz folgend, dass Wohlschmeckendes niemals gesund sein kann – deshalb gesund sein muss. Was hat sich die Evolution dabei eigentlich gedacht? Oder ist das, nach Haarausfall und Bindegewebsschwäche, Gottes drittbester Witz?

Schauen wir noch einen Sprung in der Westgate Mall vorbei. Ein, zwei Boutiquen zeigen tatsächlich sehenswerte Mode und Accessoires, die man weder in den anderen Malls noch in deutschen Fußgängerzonen finden würde. Auch ist dort das Art Caffee, das dank urbanen Ambientes, gutem Kaffee und Sandwiches sowie gratis Internet für viele zum zweiten (oder auch ersten) Büro und Konferenzraum geworden ist. Im obersten Stockwerk gab es ein Kino, das dank unfassbar schlechter Programmauswahl vor ein paar Wochen Pleite gemacht hat. Jetzt hat es wiedereröffnet, und die Programmauswahl ist, Trommelwirbel, – wieder unfassbar schlecht. Gemeinsam mit Markus, meinem in Moskau verschollenen Ko-Autor in diesem Blog, würden wir als alte Kinokämpen innerhalb weniger Wochen die Kinoszene in Nairobi revolutionieren. Sicherlich würden auch wir Pleite machen, aber das wenigstens mit Stil.

Was hätten wir noch? Ach ja, das Yaya-Center. Wer sich sich über die lustigen Namen wundert, dem sei gesagt, dass dieses Business traditionell fest in indischer Hand ist. Dorthin führt mich die 30-minütige Fahrt eigentlich nur, wenn es mich nach guter Patisserie gelüstet. Ein angeblich belgischer Bäcker serviert allerlei Gebäck in seinem Cafe im Erdgeschoss. Dann gibt es noch einen kleinen Baumarkt, einen Apple-Shop, in dem die ohnehin überteuerten Produkte noch viel teurer sind, und einen gut sortieren Buchladen.

Und heute ist wieder so ein Mall-Tag. Gleich fahre ich ins Sarit-Center, weil ich dort einen Bilderrahmen abholen will, das Fitness-Studio aufsuche, gegenüber das Auto zum Service gebe, das schwarze Brett nach guten gebrauchten Geländewagen prüfe und neues Staub-Müsli besorge. Wenn’s g’sund macht! Meine alltäglichen Lebensmittel kaufe ich aber am liebsten in einem kleinen Supermarkt, der auf halbem Weg nachhause liegt. Dort wird man von drei Generationen einer indischen Familie noch persönlich begrüßt und findet alles, was man braucht auf 100 Quadratmetern und nicht auf 5000 wie im Großsupermarkt in der Mall, wo der Weg vom Salat zum Essig ein Tagesmarsch im Labyrinth ist. Seit neuestem gibt es im indischen Pendant zum Tante Emma Laden auch Gänseleberpastete, mit der ich die Nachwirkungen des Müsli sehr erfolgreich behandle. Wenn’s froh macht!