Lieber Markus,
mehr Helden hätten wir gebraucht. Mag ja sein, dass Fridge Guard den Kühlschrank gerettet hat. Doch darin können wir leider nicht übernachten. Im 1. Stock unseres Hauses, auf dessen schwarz geteertes Flachdach tagsüber die Tropensonne knallt, ist an unklimatisierte Nachtruhe nicht zu denken. Jedenfalls nicht für mich. E. schlummert sogleich weg. Muss sich um eine Art umgekehrten Winterschlaf handeln. Wälze ich mich eine Stunde lang. Schleiche dann hinab ins Wohnzimmer und schaue schwitzend in die Nacht hinaus.
Es ist fünf nach Drei. Dunkel und still. Doch je länger ich schaue und lausche, desto heller und lauter wird es. Palmen, sonst grün, jetzt grau, wedeln träge. Besonders die in der Mitte des Rasens, die wie ein zehn Meter hoher Fächer aussieht, macht ein reibendes Geräusch, als streiche ein Schlagzeuger mit dem Besen über die Snaredrum. In den Mangobäumen sitzen die Schreihälse von der Tagschicht und geben ab und zu einen müden Pieps von sich. Hin und wieder zischt mit schrillem Kreischen eine Fledermaus vorbei.
Ich sitze im Dunkeln, nur der Bildschirm meines Laptops leuchtet matt. Hinter der Gartenmauer schläft Accra, größtenteils jedenfalls. Der Wind trägt Gesang herüber, es klingt wie ein Muezin. Ein paar Kilometer von hier ist eine große Siedlung, die nur von Muslimen bewohnt wird. Könnte also sein, aber ist kurz nach Drei nicht etwas früh fürs Morgengebet? Von etwas weiter links ist eine Alarmanlage zu hören. Die meisten Gartenmauern sind mit Stacheldraht gesichert, manche auch mit Elektrozaun. Bei Berührung durch Mensch, Tier oder einem Wind bewegten Zweig, heulen die Dinger los. Ist wohl meist Fehlalarm.
Vor dem Terrassenfenster patrouilliert unsere Hauskatze vorbei. Eigentlich ist es nicht „unsere“ Katze, vielmehr sind wir „ihr“ Haus. Sie ist weiß mit brauen Streifen, ziemlich klein und mager. Ich frage mich, was sie isst. Bisher konnte ich ihre Aufmerksamkeit nicht wecken. Anders als europäische Katzen sucht sie nicht den Kontakt zu Menschen. Sie maunzt nicht, sie schnurrt nicht und will auch nicht gefüttert werden. Es hat sich in Katzenkreisen wohl herumgesprochen, dass man ihres gleichen hier „zum Fressen gern“ hat. Gebell und Geheule, gar nicht weit weg. Nachts streichen hier wilde Hunde rudelweise über die Straßen. Gruselig, wenn Scheinwerferlicht die Augen einer ganzen Meute im Dunkeln erstrahlen lässt.
Weiter hinten im Garten bewegt sich etwas. Ist aber nur der Nachtwächter, der tatsächlich seine Runden dreht. Es geht ihm nicht gut seit ein paar Tagen. Vorgestern hat ihn die Wachfirma abgeholt und ins Krankenhaus gebracht. Ich war beeindruckt. So viel Fürsorge hatte ich gar nicht erwartet. Am nächsten Tag war er wieder da. Habe gefragt, was ihm fehlt. Malaria, sagte er. Was man ihm gegeben hätte, wollte ich wissen. Painkiller, antwortete er. Also Paracetamol. Da lacht der Malaria-Parasit. Ich habe ihm dann eine Packung von unserem Antimalariamittel gegeben. Kostet knapp 5 Euro. Das war er seiner Wachfirma wohl nicht wert.
Was habe ich eigentlich in Deutschland gemacht, wenn ich nicht schlafen konnte? Fernsehen geschaut. Sinnlose Sendungen auf Trash- oder Sportkanälen, mal auch Themennächte auf Arte. Gibt es hier leider nicht. Oder auch zum Glück. Nur im Winter nicht. Nichts war schöner, als aus dem Fenster auf eine stille Stadt im Schnee zu schauen. Darauf kann ich in Ghana lange warten. Also doch Fernsehen. Hier gibt es aber noch so etwas wie Sendeschluss. Der ist tendenziell besser, als das Programm davor.
Nachrichtensender, auf denen unendlich lange und wortreich diskutiert wird. Fazit meist: Die Politiker sollten jetzt aber mal wirklich – oder auch nicht. Musiksender dudeln dicht an dicht lokales Liedgut, das immer gleich klingt. Christliche Sender zeigen kirchliche Organisationen, die wie Disco Bands der 70er Jahre heißen, „Miracle Explosion“ zum Beispiel. Deren Prediger, meist in glänzenden Business-Zwirn gekleidet, mobilisieren die Massen gekonnt mit rhetorischem Furor und wirken am Schluss Wunder. Stumme sprechen, Blinde sehen und Lahme gehen. Stimmt, ich auch. Ich stehe auf und schalte aus.
Es geht auf Fünf zu. Die Vögel wecken sich gegenseitig und zwitschern sich in Fahrt. Seit einer Stunde kräht auch ein Hahn im Minutentakt. Draußen brausen schon die ersten Trotros vorbei, die die Leute aus den Vororten in den Stadt bringen. Ein Moskito umkreist mich auf der Suche nach Frühstück. Werde mal das Klima im Schlafzimmer testen. Trotte die Treppe hoch. Moskito hinterher. Bin schneller und ziehe die Türe zu. Thank god, its weekend.
Und was machst Du, wenn Du nicht schlafen kannst?
Viele Grüße aus Accra,
Michael