Nach langem Frühstück mit zwei Kaffee und einem Phantasie-Croissant will ich mich allmählich Richtung Stadt bewegen. Es ist einer dieser Tage: Perfektes Wetter, nichts zu tun, keinerlei Personal im Haus, nur ein Wächter, der gelangweilt in der Sonne lümmelt. Ein echter Firstlady-Tag. Dann bimmelt das Telefon. E. ist dran, sagt, es habe Bombendrohungen gegeben. Ich solle zuhause bleiben.
Das ist der goldene Käfig. Die einen wünschen ihn sich. Die anderen fürchten ihn. Ich aber sage, solange genug Filme auf der Festplatte sind, Bücher im Regal, das Internet zügig und heißer Kaffee in der Tasse, dann ist alles gut. Normalerweise sage ich das jedenfalls.
Mit dem Hausarrest wird der goldene Käfig aber zur goldenen Zwiebel. Das Haus ist innen vergittert, ums Grundstück ein Zaun und um alle Grundstücke zusammen noch einer. Drei Schichten sorgen für Sicherheit, aber auch für Unbeweglichkeit. Und in der Mitte sitze ich und frage mich, was tun mit dem angebrochenen Tag.
Es ist einer dieser Momente in dem ich mich umschaue und feststelle, alle Filme schon gesehen, und die, die ich nicht gesehen habe, will ich auch gar nicht sehen. Die Bücher wenden mir abweisend ihre Rücken zu, und der Kaffee schmeckt schal. Das Internet ist so langsam wie seit 1991 nicht mehr, als ich mit meinem ersten Modem die damalige Deutsche Bundespost reich machte.
Da erinnere ich mich an verschiedene Arbeitsaufträge, die E. mir im Laufe der Zeit gegeben hat und die ich habe liegenlassen (wegen Filmen, Büchern, Internet). Da ist beispielsweise das undichte Dach über unserem Abstellraum, der neben Gartengestühl und Holzkohlegrill auch noch nicht ausgepackte Kisten von unserer Einreise enthält.
Also schwinge ich mich in die alte Trainingshose und räume das Zeug von diesem in den nächsten Raum, in den es nicht hineinregnet und dessen Decke auch nicht von Termiten zu Kleinholz verarbeitet worden ist. Die Arbeit geht schneller voran als gedacht. Nach einer Stunde ist alles neu gestapelt, manches aussortiert oder weggeworfen.
Ob ich gegen 10 Uhr morgens einen dritten Kaffee trinken kann? Ist das ungesund, schadet es dem Teint? Vielleicht rühren daher die Ringe unter den Augen. Auch als männliche Firstlady muss ich schließlich aufs Aussehen achten. Sonst heißt es irgendwann: „Schatz, ich muss heute noch länger im Büro bleiben, Du weißt schon, die Arbeit.“
Die Lampe in der Speisekammer ist auch schon seit zwei Wochen kaputt. Leiter holen und Birne hinein schrauben ist eine Sache von fünf Minuten, aber auch nur, weil ich es gemütlich angehen lasse. Bilder aufhängen, das wäre auch noch eine Idee, aber alleine, ohne E.s kritische Augen, würde das wahrscheinlich nicht gelingen.
Geht es anderen auch so? Je weniger man zu tun hat, desto weniger Zeit hat man. Das wäre der richtige Moment, um endlich Marcel Proust „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ anzugehen. Sieben Bände, 5300 Seiten, die ideale und auch thematisch irgendwie passende Beschäftigung.
Lese erst einmal die Zusammenfassung auf Wikipedia, die Bit für Bit auf meinen Bildschirm tröpfelt. Ermüde dabei recht schnell. Interessant aber klingt eine Aktion des Schriftstellers Jochen Schmidt, der 2008 jeden Tag 20 Seiten daraus gelesen und nach und nach eine 600-seitige Zusammenfassung geschrieben hat.
Die ideale Idee, um ein Blog zu füllen, und sie ist auch noch beliebig ausbaufähig. Wenn ich mit Proust fertig bin, dann kommt das Gesamtwerk Goethes, Tolstois, Dostojewskis, dann Haruki Murakami, Tolkien, Edgar Allen Poe und so weiter, schließlich die Bibel oder gar Nietschze. Bin total begeistert.
Rufe E. an, um ihr von meinem neuen Plan zu berichten. Sie sagt, an einer Kachel an der Badewanne hätten wir doch unlängst Spuren eines neuen Ameisenbaus entdeckt. Ob ich mich nicht darum kümmern könnte. Und daran, aber vielleicht nicht nur, liegt es, dass es in diesem Blog so schnell keine Zusammenfassung der Weltliteratur geben wird.
Kümmere mich ums Bad. Bei dieser Gelegenheit finde ich noch einige andere Dinge, die schon längst hätten getan werden müssen. Nachdem das alles erledigt ist, plane ich voller Zufriedenheit, den Terroristen eine Dankes-Mail zu schreiben. Wären sie nicht gewesen, wäre vieles unerledigt geblieben. Danke.