Von Äpfeln und Birnen

Alle wollen wir individuell sein. Keiner möchte sich nachsagen lassen, Du bist wie alle anderen. Deshalb geben wir uns Mühe, uns zu unterscheiden – durch Bücher die wir lesen, Filme, die wir sehen, Kleidung, die wir tragen und so weiter. Warum, frage ich mich deshalb, zeigen sich so viele Leute völlig skrupellos mit jenem angebissenen Apfel-Logo in der Öffentlichkeit?

Ich gebe es lieber gleich zu: Ich konnte die Firma Apple noch nie leiden. Diese Abneigung liegt in einem studentischen Trauma begründet. Vom USA-Aufenthalt nach Deutschland zurückgekehrt, wollte ich mir 1990 einen Computer kaufen. Da die Gast-Uni jenseits des Atlantiks flächendeckend mit Apfel-Rechnern ausgestattet war, hielt ich das für den Standard.

Ich betrat also ein Computergeschäft in meiner kleinen, schwäbischen Heimatstadt und deutete auf ein Gerät. Leider stellte sich heraus, dass nicht nur der Rechner selbst sehr teuer war, sondern auch der passende Neunnadeldrucker (so etwas fand man damals toll) schon fast so viel kosten sollte, wie ein kompletter PC, also ein Computer mit Intel-Prozessor und Microsoft-Betriebssystem.

So kamen wir nicht ins Geschäft, und so ist es seitdem geblieben. Die Firma Apfel und ich sind seit nun mehr als zwanzig Jahren Feinde. Das klingt etwas hart. Also sagen wir, ich ignoriere Apple, und Apple ignoriert mich, was Apple sicherlich viel leichter fällt, als mir. Und nachdem, was ich regelmäßig hier in Nairobi erlebe, wird daran so schnell auch nichts ändern, im Gegenteil.

In meinem hiesigen Lieblings-Cafe, das mit dem superschnellen Internet-Anschluss und dem wirklichen starken kenianischen Kaffee, sehe ich mich umzingelt. Rechts neben mir reihen sich vier Tische an der Wand entlang. An jedem dieser Tische sitzt der typische berufsjugendliche UN-Auslandsmitarbeiter. Jeder ist von einem Laptop-Deckel halbverdeckt. Und auf jedem dieser Deckel prangt der von hinten beleuchtete Apfel.

An der anderen Wand ist das Bild nicht anders, auch nicht auf der Terrasse, so viele Äpfel wie im Spätsommer am Bodensee. Unter all den Äpfeln will ich die Birne sein. Das sage ich in dem vollen Bewusstsein, dass ich nun Witzen über meine Figur die Türe sehr, sehr weit geöffnet habe. Stolz und mit einer Geste, die deutlich größer ist, als sie sein müsste, ziehe mit meinem fünf Jahre alten, schon etwas abgeschabten IBM-Minilaptop blank, der etwa so hübsch ist wie ein russischer Panzer und ebenso stabil.

Anfangs war das Aufklappen gar kein Ritual, sondern eben nur ein vor Benutzung notwendiges Aufklappen. Irgendwann nahm ich dann die Äpfel wahr, immer mehr Äpfel, überall, und dann wurde das Aufklappen langsam zur Attitüde. Einer muss doch ein Zeichen setzen.

Es gibt Individualisten verschiedener Art. Manche wollen absolut nur das, was kein anderer hat. So extrem bin ich gar nicht. Ich freue mich auch, wenn in der Masse der Uniformierten ein Nonkonformist sitzt, ein Gleichgesinnter, mit dem ich mich verbrüdern kann. Deshalb schaue mich im Cafe um, und suche unter den Apfel-Massen einen Dell, einen HP oder vielleicht einen Acer.

Vereinzelt gibt es sie, die andersartigen. Heimlich mache ich ihren Besitzern Zeichen, verschwörerisch und anerkennend, etwa so wie sich Motorradfahrer gegenseitig auf der Landstraße grüßen. Man hebt die Hand – nicht zu schnell, nicht zu hoch – vielmehr in bemühter Beiläufigkeit, die signalisiert, seht her, ich brauche diese Hand gar, und das obwohl ich gerade mit 210 durch die Kurve kachle.

Mag sein, dass die Geste unter Motorradfahrern funktioniert, ich bin selbst keiner. Sicher ist jetzt, unter Laptop-Besitzern funktioniert sie nicht. Alles was ich auf mein heimliches Winken hin ernte, sind verständnislose und missbilligende Blicke. Nach einer Weile gebe ich es auf und bleibe mit meinem kleinen, hässlichen IBM-Laptop alleine.

Individualität macht also einsam. Auch ist sie irgendwie beängstigend. Denn was, wenn ich etwas falsch mache? Was, wenn ich borniert auf dem Gestern verharre, während die Apfel-Benutzer schon längst im Morgen angekommen sind? Eine Bekannte meinte letztes Jahr mit sorgenvoller Miene, dass ich mit dieser Einstellung nicht mehr am Puls der Zeit bin, den Zug verpasse und den Schuss nicht höre.

Wie immer fallen mir schlagfertige Antworten erst lange hinterher ein. Deshalb sage ich jetzt, ich brauch den Puls der Zeit nicht, ich habe meinen eigenen. Wenn ich den Zug verpasse, warte ich eben auf den nächsten. Und auf Schießereien, gleich welcher Art, kann ich sowieso gerne verzichten.

Mehr zum Thema hier