Eines Nachts erwachte ich ungewohnt spontan. Normalerweise zieht sich das, besonders morgens. Ruckartiges Erwachen aber, vor allem mitten in der Nacht, hat meist einen Grund. Ich schlug die Augen auf, schaute in die Dunkelheit. Draußen prasselte der Regen, und ich dachte nur „Wasser“. Zunächst wusste ich nicht genau, warum ich das dachte. Dann traf ein Wassertropfen meine Stirn.
Nein, wir waren nicht campen. Ich lag in meinem eigenen Bett und konnte mich deutlich an eine stabile Holzdecke erinnern, die sich abends, bevor ich das Licht gelöscht, intakt über mir gezeigt hatte. Irgendetwas schien in der Zwischenzeit mit dieser Zimmerdecke geschehen zu sein. Ein weiterer Tropfen traf mich klatschend.
Zwischen diesem und dem nächsten gelang es mir, einen sehr kurzen und doch vollständigen sowie auf seine Art informativen Satz zu formen und ihn in Richtung der schlafenden E. zu sprechen: „Es tropft“. Dann schaltete ich das Licht an, stand auf und versuchte herauszufinden, was eigentlich los war.
Eigentlich war nichts besonders los. Die zu dieser Jahreszeit übliche kleine Regenzeit legte gerade eine Nachtschicht ein. Die herabstürzenden Wassermassen prallten, wie es sich gehört, zum größten Teil aufs Dach und flossen seitlich ab. Nur hin und wieder fand ein Tropfen den Weg hindurch und landete auf meinen Kopf. Das war alles.
Erstaunlich, wie wenig es mich in diesem Moment interessierte, dass tausende, ach was, zehntausende von Tropfen erfolgreich von unserem Dach am Weiterfallen abgehalten wurden. Einer kam durch, und das war einer zuviel. Noch erstaunlicher war, dass dieser Tropfen genau oberhalb der Stelle durch ein recht großes Hausdach drang, wo ich seit zwei Jahren meinen Kopf zu betten pflegte.
Ich holte eine Schale, legte ein Handtuch hinein, wir rückten das Bett einen halben Meter nach vorne, ich stellte die Schale auf den Boden, der nächste Tropfen fand sein neues Ziel, es plitschte gedämpft, wir waren zufrieden, legten uns wieder hin und schliefen ein.
Das heißt, E. schlief ein, ich nicht. Ich wälzte mich unter schweren Gedanken. Unter tausend möglichen Orten bildet sich genau über meinem Kopf ein Leck und öffnet eine Einflugschneise für Regentropfen. Mich trifft es, während die einen halben Meter entfernte E. unbehelligt bleibt. Was ist das: Zufall, Schicksal oder Sabotage?
Am nächsten Morgen stieß ich mir den Fuß am Bettpfosten, der an ungewohnter Stelle stand, gebrauchte ein, zwei deftige Ausdrücke, hüpfte auf einem Bein, kippte seitwärts, hielt mich am Schrank fest, und riss frischgebügelte Hemden herunter, die dort hingen. Super, wie der Tag anfing.
Meine Laune flaggte auf Halbmast. Was, wenn ich mich nun an einen mit Macht ausgestatteten Schreibtisch setzte und meinem Ärger freien Lauf ließe? Ich proklamierte harte Strafen für undichte Hausdächer. Die unterdrückte Bevölkerung wäre endgültig von meiner Unzurechnungsfähigkeit überzeugt und revoltierte. Die Ölproduktion meines Landes käme zum Erliegen, die Vereinten Nationen versänken im Streit und die Weltbörsen brächen zusammen.
Ein Glück, dass ich nur eine First Lady bin. Deshalb tat ich meine hausmännische Pflicht, rief einen Handwerker an, der kam, sah und reparierte. Seitdem bleibt nächtens meine Stirn trocken, und der Weltfrieden ist, naja, vielleicht nicht gerettet, aber zumindest in keinem schlechteren Zustand als zuvor.