Gestern ging ich überhaupt nicht aus dem Haus. Lungerte lieber stundenlang auf dem Bett herum, blätterte in kenianischen Zeitungen, trank Kaffee, las deutsche Online-Medien. Was man halt so macht an einem Sonntagmorgen in Kenia. Es war ruhig. Sehr ruhig. Zu ruhig. Bis mich wildes Geschrei vor dem Fenster aus meinen Träumen riss. Nein, nicht die Revolution. Nur ein Vogel, der offenbar bei meinem Anblick in Ekstase geraten war.
Das Bürschchen mit dem gelben Bauch und der struppigen Haube war mir schon vor ein paar Tagen aufgefallen. Er sitzt immer auf einer der Gitterstreben, die uns vor Einbrechern schützen sollen, und zwar seltsamerweise mit dem Kopf Richtung Haus und nicht Richtung Garten. Nun war er also wieder da, der kleine Spanner, und kletterte am Gitter auf und ab wie an einer Gymnastikwand. Er schaut hinein, ich schaue hinaus. Beide sind wir hinter Gittern. Glaubt er vielleicht, ich sei eingesperrt und könnte nicht hinaus? Womöglich hat er schon gerüchteweise von Käfigen gehört, hält das ganze Haus für einen solchen und mich für ein besonders schrägen Vogel.
Die Tierwelt in unserem Garten, der an den kleinen See grenzt, ist ohnehin recht eigenwillig. Neben dem Gittervogel, ich nenne ihn mal „Rocko“, sind da noch eine Jugend-Gang Kormorane, die morgens abzischen und abends zurückkommen, als hätten sie irgendwo einen 9-to-5 Job. Vielleicht arbeiten sie im Nationalpark. Verlässlich sind auch Ernie & Bert, zwei Enten, die jeden Tag gegen 16 Uhr vom See her eintrudeln und am Ufer anlanden. Bestimmt sind es keine Enten, sondern irgendetwas wesentlich exotischeres. Als Laie sehe ich aber nur Watschelfüße, Schnabel und höre ihr heiseres Quaken. Solange ich also nichts Genaueres weiß, bleiben es Enten. (Update am 22. Februar: Es sind keine Enten, sondern Hadada Ibisse, siehe hier.)
Nach der Landung peilen sie kurz die Lage und gehen dann einträchtig wie ein älteres Ehepaar in einer Fußgängerzone den kleinen Hang hinauf. Ihr Ziel ist der Gemüsegarten, den wir nach unserem Einzug wiederbelebt haben. Junge, hoffnungsvolle Sprösslinge von Salat, Karotten und Blumenkohl streben dort der Sonne entgegen. Nachdem ich an der Gartentür ein lustiges Kommen und Gehen von Ernie, Bert und ihren Freunden festgestellt hatte, habe ich das morsche Ding repaiert. Ob Enten Hadada Ibisse Blumenkohl fressen, oder was sie sonst dort wollten, damit ist jetzt jedenfalls Schluss. Nun stehen sie verwirrt davor und gucken so, wie man guckt, wenn man vor dem verschlossenen Supermarkt steht und noch dringend Milch fürs Wochenende braucht.
Und dann wäre da noch Mr. Pommeroy. Keine Ahnung, wie wir auf den Namen gekommen sind. Manchmal sind solche Dinge plötzlich da, und niemand weiß, warum. Mr. Pommeroy ist ein kleines Nilpferd, natürlich kein echtes, sondern eines aus Stahl. In Kenia hat sich eine ganze Industrie entwickelt, die aus Altmetall Tiere baut. Ein Nachbar hat kürzlich eine fünf Meter hohe und damit nahezu lebensgroße Stahlgiraffe in seinem Garten aufgestellt, die nun wie ein Mahnmal für die Serengeti über die Mauer schaut. Mit der Nachbarin, bei der wir Waschen, war ich unterwegs, um für sie einen Geier auszusuchen. Dabei trafen wir einen Deutschen, der gerade einen ganzen Container mit Stahltieren belud, darunter auch ein lebensgroßes Pferd, um sie nach Deutschland zu karren. Vielleicht war die Arche Noah ja in Wahrheit ein Container-Schiff?
Mr. Pommeroy war ich begegnet, als ich das Atelier eines angesagten kenianischen Stahlkünstlers besuchte. E. hatte mir zuvor noch zugeflüstert, sie hätte gerne ein kleines Warzenschwein. Im Atelier angekommen, stehe ich aber erst einmal im Leeren. Die ganze Stahlmenagerie sei auf dem Weg zu einer Ausstellung nach Kalifornien, teilt mir sein Assistent mit. Ich laufe herum und denke, vielleicht hält sich ja doch noch irgendwo ein kleines Stahlschwein versteckt. Da entdecke ich Mr. Pommeroy unter einem Busch. Wie goldig, rufe ich, ein Warzenschein! Das ist ein Hippo, korrigiert der Assistent des Künstlers. Beschämt bemerke ich, dass es dafür aber reichlich klein ist. Sagt er, das sei die künstlerische Freiheit. Wir streiten noch eine Weile, auch über den Preis, dann trage ich happy mein Hippo nachhause.
Dort steht es nun auf der Terrasse und sorgt für Aufregung bei Mensch und Tier. Eines Nachts schepperte es ganz fürchterlich. Der Nachtwächter war bei seiner Patrouille im Dunkeln über Mr. Pommeroy gestolpert. Aber so‘n Stahlhippo ist stabil, das kann was ab. Heute, es ist mittlerweile Nachmittag, liege ich ein paar Meter weiter im Liegestuhl, lese und trinke Tee, als ich tapsende Schritte höre. Das EntenIbispaar hat vor der Gartentür den Rückzug angetreten und sich statt für den Konsum nun für die Besichtigung von Open Air Kunst entschieden. Neugierig nähert sich Ernie (oder Bert?) und haut mit dem Schnabel auf Mr. Pommeroy. Der bleibt ganz cool.
Abends, nun sitze ich drinnen und schaue, die Füße Richtung See, einen Film auf dem Laptop, kommt noch eine Katze vorbei, die interessiert am Hippo schnuppert. Danach verdrückt sie sich in die Büsche. Es wird still, Ernie und Bert hocken schon auf ihren Schlafästen auf der kleinen Insel im kleinen See. Rocko hat sich seit längerem nicht mehr blicken lassen, aber ich bin sicher, dass ich morgen keinen Wecker zu stellen brauche. Mr. Pommeroy steht stille und glotzt aus großen Schraubenaugen in die Nacht. Seine Ohren setzen schon etwas Rost an. Was will er mir damit sagen? Dass wir alle älter werden, dass alles vergänglich ist? Der Pedant poliert, der Philosoph lässt rosten. Genau, sagt Mr. Pommeroy.