Vielleicht erscheint das Leben in Kenia aus der Ferne wie ein ewiger, automatischer Abenteuerurlaub. Darum möchte ich hier ein für alle Mal klarstellen: So ist es nicht. Das heißt, Abenteuer ja, Urlaub eher nein, jedenfalls nicht automatisch. Für den muss man schon selbst sorgen, was immerhin relativ leicht fällt. Zum Strand am Indischen Ozean ist es nur eine Flugstunde, und Löwen & Co. wohnen gleich um Ecke.
Mit den Worten „das haben wir uns verdient“ buchten wir vor ein paar Tagen spontan eine Luxus-Lodge am Meer. Luxus wegen des Preises, aber auch wegen des, naja, erwarteten Luxus. Ich erwähne das, weil meiner Meinung nach beide Faktoren zusammenkommen müssen, um das gewünschte Resultat zu erzielen. Will sagen: teuer allein garantiert noch lange keinen Luxus-Urlaub. Was natürlich gleich die Frage nach sich zieht, was denn Luxus überhaupt sein soll.
Im Meru-Nationalpark, nördlich vom Mount Kenya gelegen, gibt es nur wenige Übernachtungsmöglichkeiten. Sofort greift das harte Gesetz des Kapitalismus, wonach ausbleibende Konkurrenz zum Nachteil des Kunden sei. Die Elsa’s Kopje Lodge beispielsweise verlangt in der Hochsaison 598 US-Dollar pro Person und Nacht, hinzukommen 80 US-Dollar Parkgebühr pro Tag. Wer zu zweit reist, zahlt also täglich 1356 US-Dollar oder 1085 Euro.
Ist etwas luxuriös, geht es per Definition über das normale Maß hinaus. Das kommt für die Preise dieser und anderer Lodges schon mal hin. Aber was bekommt man eigentlich für sein Geld? Glücklicherweise gibt es keine Luxus-Hotels in kenianischen Nationalparks, sondern nur „Lodges“ und „Tented Camps“. Eine Lodge besteht aus kleinen Cottages, also Häuschen, die aus Lehm und Holz gebaut und meist strohbedeckt sind, im „Tented Camp“ wird in Zelten genächtigt.
Als ich erstmals von Zelten hörte, dachte ich voller Schrecken an meine Jugend-Radtouren zurück, als die Tage mit Sicherungsverwahrung im Zweimannsack endeten, von dessen Stoffdecke das Schwitzwasser direkt in den Schlafsack tropfte. Doch im Luxus-Zeltlager wird nicht unter feuchtem Stoff auf steinigem Grund geruht, sondern in sogenannten Luxus-Zelten. Sie sind mindestens zweieinhalb Meter hoch, 25 Quadratmeter groß, haben eine eigene Veranda, Fenster aus Moskitonetz, große Betten und – in der echten Luxus-Ausführung – sogar mit abgeteiltem Badezimmer.
Ein großes Zelt, also. Ist das jetzt schon Luxus, oder was macht das Luxus-Camp zum Luxus-Camp? Das heiße Wasser, vielleicht, das dienstbare Geister morgens über Holzfeuern erhitzen, im 20-Liter Eimer herbeischleppen und schließlich hinter dem Zelt an einem Mast emporgehieven, damit durch Gefälle ein gewisser Wasserdruck entsteht. Die solar-betriebene Ladestation für Mobiltelefone, Laptops und Ipads oder –pods, die zentral im Lager angeboten wird. Oder mehrgängige Menüs nebst Wein, Bier und Schnaps, und das obwohl der nächsten Supermarkt sehr, sehr holprige 250 Kilometer entfernt ist.
Ich finde, Luxus entsteht erst durch den Service, und davon gibt es hier jede Menge. Weil in Kenia die Gehälter sehr niedrig sind, schwärmen im Cafe order Restaurant die Angestellten gleich im Dutzend umher. Auch im Zeltlager oder in der Lodge arbeiten eine Menge freundlicher Menschen daran, einem mit allen Mitteln das Dasein zu versüßen.
So war es auch in der Lodge am Strand südlich der Küstenstadt Mombasa, zu der wir vergangene Woche reisten. Sie war nicht ganz so teuer, denn – siehe Gesetz des Kapitalismus – in der näheren Umgebung gibt es etliche große Strandhotels oder Riesen-Lodges, sodass sich hier die aberwitzigen Preise nicht durchsetzen lassen. Abgesehen von ihrer äußerst geschmackvollen Einrichtung entsprach auch diese Lodge meiner Definition von Luxus: Service, Service, Service.
Tatsächlich gab es hier so viel Service, dass wir am letzten Tag das Abendessen in unserem kleinen Cottage nehmen wollten. Das dauernde „Genießen Sie Ihr Essen?“, „Ist alles in Ordnung?“, „Darf es noch ein Schluck Wein sein?“ war so gut gemeint, dass es irgendwann zuviel wurde.
Die Menge an Service, die ein einzelner Mensch vertragen kann, von Fall zu Fall verschieden. Mir persönlich wird es sehr schnell zu viel damit, weshalb wir zuhause die Vollzeithaushaltshilfe abgeschafft haben. Hier spült die First Lady selbst. Zuviel Service wirkt auf mich so wie die Entspannungsmusik im Wellness-Bad, die mich mit ihrem angeblich beruhigenden Fiepen und Flöten nach wenigen Minuten zur Weißglut bringt.
Also beschlossen wir, den letzten Abend in unserem kleinen Cottage zu verbringen. Schon am frühen Nachmittag ging ich zur Rezeption, um unseren Wunsch dort anzumelden. Da der Service aber so derart bemüht gewesen war, brachte ich es nicht fertig, einfach so darum zu bitten. Ich verlegte mich aufs Schwindeln. E. ginge es nicht so gut, sagte ich, was sogar halbwegs stimmte. Trotz der sommerlich leichten Küche der Lodge, fühlten wir uns nach drei Mahlzeiten täglich wie gemästet.
Wir wollten deshalb nicht nur zuhause bleiben, sondern auch auf Vor- und Hauptspeise verzichten. Bei dem Herrn an der Rezeption führte das zu ein bis zwei weit gehobenen Augenbrauen und der mehrfachen Rückfrage, „nur den Hauptgang, sind Sie sich da auch ganz sicher?“ Ich bejahte mehrfach, nachdrücklich und wurde endlich entlassen. Erschöpft von dieser Prüfungssituation, schleppte ich mich an den Strand.
Einige Sonnenstunden später kehrten wir in unsere kleine Hütte zurück. Dort war alles im völligen Chaos. Stühle umgestürzt, Badezimmerutensilien auf dem Boden verstreut, Bett verdreckt und Handtücher heruntergerissen. Der Gedanke „Einbrecher“ war gar nicht so falsch. Es waren tatsächlich Einbrecher dagewesen, sehr viele sogar, und auf jeweils vier Beinen. Die Affen, die sonst so possierlich in den Ästen über der Lodge hin und her schwangen, hatten es sich in unserem Haus gemütlich gemacht.
Wir riefen den Zimmerservice, der alles schnell wieder in Ordnung brachte und in einem fort Entschuldigungen murmelte. Was die Affen denn da gesucht hätten, wollte ich wissen, Essen vielleicht? Aber nein, sagte der Mann, die hätten nur spielen wollen. Tatsächlich hatten die Affen weder mit Dr. Hauschkas Gesichtstonikum, noch mit der Daily Nation vom Vortag anderes anzufangen gewusst, als das eine in die Ecke zu pfeffern und das andere zu zerfleddern.
Das war der erste ungebetene Besucher. Der zweite kam ein paar Stunden später, pünktlich zum Abendessen, und war auf seine Art sehr höflich. Er kündigte seine Ankunft minutenlang durch lautes Miauen vor der Türe an. Es war der Hauskater, der bisher im Restaurant immer brav zu unseren Füßen gesessen und vergebens auf einen kleinen Happen gehofft hatte. Voller Hoffnung war er offenbar dem Kellner gefolgt, der das Abendessen zur Hütte brachte.
Die Türen waren zu, wir schnippelten an unseren Steaks, Kater draußen jaulte ohne Pause. Ich bollerte von innen gegen die Türe. Das Jaulen verstummte, um zwei Sekunden später an der anderen Türe wieder aufzubranden. Ich stand auf, ging hinüber, knallte mit dem Fuß dagegen und fand mich von dem kleinen Mistvieh ausgetrickst, das wieder zur anderen Seite der Hütte gerannt und durchs Fenster hereingesprungen war. Dort wurde er jedoch von E. begrüßt, die ihm die Badelatschen entgegenwarf. Kater rückwärts durchs Fenster ab, Vorhang.
Endlich war Ruhe. Wäre da nicht der versprochene dritte ungebetene Besucher. Nach dem Essen lümmelten wir so vor uns hin, da ertönte von draußen eine Stimme. Die Lodge-Chefin selbst erkundigte sich durchs Fenster besorgt nach E.s Gesundheit, sie hätte gehört, es ginge ihr nicht gut. Verbrechen, in diesem Fall Schwindeln, lohnt sich nicht. Nur nach langen, durch den geschlossenen Fensterladen vorgetragenen Versicherungen, alles sei in Ordnung, zog die fürsorgliche Frau wieder ab.
Erkenntnis: Wahrer Luxus ist nicht etwas, das über das übliche Maß hinausgeht. Es ist die Kunst, genau das persönliche Maß zu treffen.