Im Vergleich zu Erdbeben, Tsunami und Kernschmelze sind unsere Probleme so klein, dass mir heute der genervte Ton des Neuankömmlings in Kenia schwer fällt. Ich will aber dennoch davon erzählen, dass wir endlich wieder auf eigenen Möbeln sitzen, im eigenen Bett schlafen und mit eigenen Messern Nutella-Brote schmieren: Der Container ist da!
Um die Tragweite dieser Nachricht vollständig zu erfassen, bitte ich Euch nun darum, Euch in Gedanken zurück in die Kindheit zu versetzen. Und zwar exakt ins Alter von acht Jahren, am 24. Dezember, 17.45 Uhr. Bald ist Bescherung. Zäh verrinnen die Minuten. Wo bleibt nur das Glöckchen, mit dem die Mutter klingelt, worauf wir wie die Wilden ins festliche geschmückte Wohnzimmer stürzen? Doch dann kommt alles anders: Um 17.59 Uhr betritt sie das Kinderzimmer und sagt: „Sorry, Leute, aber wir feiern heute kein Weihnachten. Wir haben es auf nächste Woche verschoben.
Enttäuschungen dieser Qualitätsstufe haben wir hier in Kenia drei Mal erlebt. Drei Mal erhielten wir einen Anruf des Transportunternehmers aus der kenianischen Hafenstadt Mombasa, dass wir unseren Container morgen bekämen. Und drei Mal warteten wir, und warteten, und riefen dann an, und fragten, wo er denn bliebe, und hörten, dass es leider noch diese oder jene Verzögerung gegeben habe. Es würde jedenfalls später werden. Sehr viel später.
In Mombasa, dem einzigen großen Hafen in Kenia, legen täglich hunderte von Schiffen an. Auf einem davon haben wir Ende November 2010 unseren Container losgeschickt, der alles enthält, was wir an irdischen Gütern besitzen, jede Gabel, jeden Stuhl, jedes Hemd und jede Socke.
In den ersten vier Wochen war es eigentlich noch ganz witzig, wieder wie ein Student zu leben, abends an einem Campingtisch zu sitzen, aus einem von insgesamt zwei vorhandenen Wassergläsern Rotwein zu trinken und mangels Sofa, auf dem wir sonst Abends gerne stundenlang herumlümmeln, sehr früh zu Bett zu gehen.
Nach weiteren vier Wochen begann dieser Zustand aber gewaltig zu nerven. Nach und nach verloren wir auch die ursprüngliche Hemmung, Haushaltszubehör wie Flaschenöffner, Brotmesser und so weiter zu kaufen. Schließlich hatten wir ja all das schon, nur leider im Container. Also komplettierten wir den Hausstand wieder einmal Stück für Stück. Da wir ähnliches schon in Ghana erlebt hatten, kaufte ich also Dosenöffner Nummer fünf und Brotmesser Nummer vier. Alles von der eher billigeren Sorte. Das Brotmesser schnitt nur in den ersten Tagen zuverlässig Brot, danach höchstens noch Weichkäse.
Wochenende nach Wochenende verbrachten wir zuhause, weil der Container praktischerweise immer für Samstag angekündigt war. Zwei Mal warteten wir vergebens bis Sonntagnachmittag, um dann wenigstens in der Nachmittagssonne einen Spaziergang durch unser Wohngebiet zu machen. An diesem, dem vergangenen Wochenende war es wieder soweit. Diesmal käme er am Samstag, sagte der Transporteur, aber ganz bestimmt, und zwar früh am Morgen.
Wir warteten bis Mittag, dann rief ich jemand an, der jemand anrief, der jemand anrief, der uns zurückrief, und dieser jemand war der Lastwagenfahrer. Volltönend und überrascht sprach er, nein, von unserem Container wüsste er aber gleich gar nichts. Wir riefen daraufhin seinen Boss an, und der versprach, also gut, dann würde es eben Sonntag werden.
Für Sonntagmorgen hatten wir einen mehrfach verschobenen Ausflug in den Nationalpark geplant, der direkt an Nairobi grenzt. Wer sich dorthin aufmacht, um eines oder mehrere der so genannten „Big Five“ zu sehen, die fünf großen einheimischen Tier – Elefant, Giraffe, Nashorn, Büffel und Löwe – muss früh aufstehen. Mit dem Container rechneten wir sowieso nicht mehr. Wer dreimal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er… Also standen wir gegen sechs Uhr vor dem Tor des Parks, und zahlten einen Schweinepreis. Denn was wir nicht wussten: Das sechste und bei weitem größte Tier in den kenianischen Nationalparks ist der Eintrittspreis.
Den Besuch des Parks selbst zu beschreiben, spare ich mir für später. Vorweg nur so viel: Wir sahen innerhalb einer Stunde vier der Großen Fünf, zusätzlich Zebras und Gazellen. An einem Rastplatz hatten wir uns mit Freunden und Kollegen auf ein Picknick verabredet. Kaum hatten wir uns den ersten Kaffee eingeschenkt, kam der Anruf: Der Container – jetzt. Wir stürzten den Kaffee, ließen Löwen Löwen sein und brausten mit mächtiger Staubwolke erst zum Parkausgang, dann nachhause.
Der Container stand tatsächlich schon vor dem Tor. Mit einem großen Hammer zerschlug der Fahrer das Siegel. Es war ein feierlicher Moment. Quietschend öffnete sich die Türe. Ich blickte auf die Rückseite mehrerer professionell verpackte Kühlschränke. Zwar haben wir zwei Kühlschränke, aber keine dreißig, wonach der Inhalt des Containers aussah. Sehr professionell verpackt waren unsere beiden auch nicht, als ich sie das letzte Mal in Ghana gesehen hatte. Ich bat den Fahrer um die Frachtpapiere. Ich las. Es war der falsche Container.
Wieder folgten endlose Telefonate. Nach einer Stunde stellte sich heraus: Das Fuhrunternehmen hatte in dieser Nacht zwei Lastwagen nach Nairobi geschickt. Und dann hätte wohl jemand den Fahrern die falsche Telefonnummer gegeben. Ortsbeschreibungen gibt es nämlich nicht. Der Fahrer kutschiert seinen Laster bis in die Stadt und ruft dann seinen Kunden an, der ihm den Weg erklären muss. Der andere Lastwagen war immerhin schon in der Stadt, der Fahrer aber nicht erreichbar. Nach einer weiteren halben Stunde rief der Spediteur wieder an. Man wisse jetzt, wo der Fahrer sei: In der Kirche. Das Telefon ist abgeschaltet.
Also warteten wir bis der Fahrer zu Ende gebetet hatte, und nach weiteren drei Stunden hatten wir ihn endlich, unseren Container. Nach knapp vier Monaten und einer Reise von Westafrika nordwärts nach Gibraltar, durchs Mittelmeer, den Suezkanal, an den somalischen Piraten vorbei und 500 Kilometern Landstraße von Mombasa nach Nairobi hatte er seinen Weg zu uns zurück gefunden.