Wegen der Angst vor Terroranschlägen besuchen besonders Vorsichtige nicht mehr die großen Einkaufszentren, sondern kaufen lieber in den kleinen Supermärkten ein. Einer liegt sehr praktisch auf dem Weg zwischen Innenstadt und uns, weshalb ich ein treuer Kunde geworden bin. Eigentlich ist das Einkaufserlebnis immer angenehm, nur heute wurde ich Zeuge eines Streits zwischen Chefin und Angestellten des Supermarkts. Der Führungsstil ließ doch etwas zu wünschen übrig.
Vom Eingang aus links zieht sich über die gesamte Breite des Ladens eine Theke, auf der drei Kassen stehen sowie das übliche Sortiment, das in der Fachsprache „Impulsware“ heißt: Kaugummi, Zigaretten und Schokoriegel. Hinter der Theke sitzen und stehen meist sechs Personen, drei ältere indische Damen und drei kenianische Verkäuferinnen.
Die Inderinnen sind die Chefs, die Kenianerinnen die Angestellten. Die Chefs sitzen, die Angestellten stehen. Die Chefs sitzen so, dass sie von der langen Theke aus alle Regale im Blick haben, die sich von dort aus senkrecht in den Laden erstrecken. Sie schauen und kontrollieren, während die Angestellten einpacken und kassieren.
Wenn ich die Gänge entlanggehe fühle ich die misstrauischen Augen der Chefinnen im Rücken. Nichts entgeht ihnen, weder dass ich die Olivenölflasche zehn Mal hin und her drehe, noch dass ich sie schließlich zurückstelle. Aufgeschreckt durch einen Spiegel Online-Artikel frage ich mich nämlich seit neuestem, woran ich erkenne, ob das Öl nun wirklich aus Italien kommt, oder nicht.
Derart verunsichert will ich es jetzt gar nicht mehr haben.
Die Blicke der Inderinnen brennen mir ein gefühltes Loch ins Hemd. Vielleicht hilft so viel Kontrolle auch gegen Terroristen. Ich leide still am Öldilemma. Hätte ich nicht deutsche Nachrichten gelesen, könnten wir heute Abend Tomatensalat mit Olivenöl essen. Nun werde ich Sonnenblumenöl nehmen, dessen Herkunft ich auch nicht kenne. Wissen ist nicht Macht, sondern Qual.
In dem kleinen Supermarkt gibt es neben Chefinnen und Einpackerinnen noch eine weitere Hierarchiestufe und zwar die Lagerarbeiter, die nur im Laden sind, wenn die Regale aufgefüllt werden müssen oder ein Kunde etwas Schweres zum Auto schleppen muss.
Hinten rechts ist ein kleines Regal mit Gemüse. Normalerweise liegen dort still Tomaten neben Gurken und Kartoffeln. Heute aber ertönen laute Stimmen. Ich biege um die Ecke und sehe, dass eine der indischen Chefinnen mit zwei Lagerarbeitern am Regal steht und sie anpflaumt. Da ich die Vorgeschichte nicht mitbekommen habe, weiß ich nicht worum es geht.
„Lüg‘ nicht!“, schnauzt sie den einen an.
Er senkt den Kopf.
„Ich weiß, dass Du es getan hast“, schimpft sie weiter.
Der Kopf hängt noch tiefer.
„Außerdem hast Du mit ihm“, und dabei deutet sie auf den anderen Lagerarbeiter, „in Deiner Sprache gesprochen“.
Wahrscheinlich meint sie Suaheli oder vielleicht einer der Stammessprachen, die die meisten Kenianer neben Englisch als dritte Sprache sprechen.
„Ich habe Dir doch gesagt, Du sollst nicht in Deiner Sprache sprechen, wenn ich dabei bin“, fährt sie fort.
Sie kann die Sprache offenbar nicht und will sicherstellen, dass ihre Angestellten nicht irgendetwas besprechen, was sie nicht versteht.
„Ich ziehe Euch beiden 50 Shilling vom Gehalt ab, das habt ihr jetzt davon“, beschließt sie und rauscht ab.
Die beiden schauen sich an, grinsen etwas verlegen und sagen etwas in ihrer Sprache, die auch nicht verstehe. 50 Shilling sind mindestens ein Zehntel ihres Tagesverdienstes, wahrscheinlich viel mehr. Ganz schön hart.
Auch wenn ich nicht weiß, worum es geht, stehe ich automatisch auf der Seite der Lageristen. Später wird einer von ihnen dazu abgeordnet, mir die Wasserflaschen zum Auto zu tragen.
Das ist eine weitere Eigentümlichkeit des Lebens hier. In Deutschland war ich sehr gut in der Lage, zwei Wasserkisten, eine in der linken, eine in der rechten Hand, vier Stockwerke hoch zu schleppen. Hier habe ich die Gegenwehr eingestellt. „Sehe ich so schwächlich aus?“, habe ich anfangs immer gefragt, wenn man mir die Einkaufstüten aus der Hand nahm. “Bin ich vielleicht aus Zucker?” Jetzt lasse ich es geschehen.
Der Mann trägt mir also die paar Flaschen zum Auto. Er stellt sie auf die Ladefläche. Ich drücke ihm wie üblich ein kleines Trinkgeld in die Hand. Dieses Mal sind es 50 Shilling, rein zufällig habe es gar nicht kleiner. Karma, würden die Inderinnen wahrscheinlich sagen.