Rabauken, Trompeten, und dann war da noch etwas

Dass Eltern mit ihren Kindern gerne kunstsinnige und unterhaltsame Veranstaltungen aufsuchen, ist von vielerlei Motivationen getrieben. Erstens fürchten sie die Langeweile (natürlich nicht ihre eigene, die dank Nachwuchs ohnehin nicht existiert). Zweitens hoffen sie immer das Beste und vor allem, dass ihre Kinder nicht zu smartphone-süchtigen iZombies heranfaulen, die Sonne und Luft nur noch aus der „Bibi-und-Tina“-App kennen. Drittens bieten besonders klassische Live-Konzerte immer die Chance auf ein schönes, gemeinsames Erlebnis in entspannter Atmosphäre.

Vermutlich deshalb ist die Frankfurter Kinderkonzertreihe „Rabauken und Trompeten“ seit Jahren rasend beliebt und immer sofort ausverkauft. Nur dem Einsatz meiner Freundin K. haben wir es zu verdanken, dass wir dieses Jahr dabei sein durften. Gleich morgens, am ersten Tag des Kartenvorverkaufs im Oktober 2018, hatte sie sich in eine telefonische Warteschleife gestürzt und nach 45 Minuten die letzten Karten bekommen. So beliebt sind diese Konzerte.

Vergangenen Sonntag war es endlich soweit. Ich war wieder einmal diensthabende First Lady. Mama war malade und konnte nicht mit, so ging das überzählige Ticket an eine spontan rekrutierte Freundin von Bb. „Wir gehen in die Alte Opa“, sangen beide während der Fahrt und kasperten sich vom Parkplatz im Westend über den wasserlosen Brunnen auf dem Opernplatz bis ins Albert Mangelsdorff Foyer.

Dort betrat ein männliches Streicherquartett nebst weiblicher Moderatorin die Bühne, und als es still geworden war, bat die Künstlerin darum, doch bitte auf das Filmen und Fotografieren zu verzichten. Der Saal war voll besetzt. Vorne hockten 100 Kinder auf dem Boden. Hinten saßen ebenso viele Mamas und Papas auf Stühlen und hielten sich an das freundliche Gebot.

Nur einer nicht. Der Mann direkt neben mir.

Wir saßen in der letzten Reihe, und obwohl es mich auch störte, dass er unbedingt filmen musste, ließ es ich gut sein. Wer wollte sich denn schon wieder aufregen. Sieben Sitze weiter rechts und eine Reihe nach vorne war ein Vater nicht so genügsam. Nach einer Weile drehte er sich um, und sagte, das möge doch bitte aufhören: Er wolle nicht, dass sein Kind gefilmt werde.

Guter Punkt, dachte ich, da auch ich nicht wollte, dass Bb und ihre Freundin in irgendeinem Facebook-Kanal auftauchen würden. Leider sah der Typ neben mir das ganz anders. Erst muckte er und begehrte auf, dann brüllte er: „Alle sind nur von hinten zu sehen – asoziales Arschloch.“

So.

Jetzt wollen wir mal zusammenfassen und nachrechnen:

Wir haben einen bezaubernd schönen Frühlingstag.

+ Alte Oper in Frankfurt.

+ 100 frohe Kinder zwischen 3 und 6 Jahren.

+ Noch einmal so viele Mütter und Väter.

+ Phantastisches Streicherquartett und heitere Moderatorin.

+ Schöne Musik aus mehreren Jahrhunderten.

+ Harmlose Singspiele zum Mitmachen für alle.

+ Hinweis am Anfang, bitte aufs Filmen zu verzichten.

+ Sachliche Bitte zwischendrin, mit dem Filmen aufzuhören.
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= Asoziales Arschloch

???

In welchem Universum führen solche Voraussetzungen zu diesem Ergebnis?

Welche unterkomplexe Gefühlsmathematik bringt einen erwachsenen Mann dazu, während eines Konzerts in einer hundertprozentig friedlichen und gut gelaunten Wohlstandsumgebung vor 200 Personen so auf eine kleine und absolut berechtigte Kritik zu reagieren?

Ich habe keine Ahnung.

Muss man sich angesichts solcher sozialer Geisterfahrer noch über den Zustand der Welt wundern?

Vermutlich nicht.

Mein erster Impuls war, ihn an der Nase aus dem Saal zu schleifen. Aber dann wäre die Veranstaltung erst recht geplatzt. Deshalb habe ich mich darauf beschränkt, tief durchzuatmen, etwa 297 Mal, give or take, und versucht, den Rest des Konzertes zu genießen.

Echt heldenhaft, ich weiß. Bin halt doch nur ein Schreiberling.

Am Ende blieb alles ruhig. Er filmte auch nicht mehr. Die Kinder hatten ihren Spaß. Und das war ja schließlich die Hauptsache.

Alles ganz normal soweit

baby-porsche

Zu behaupten, Zebras, Giraffen und Elefanten hätten sich in unserem kenianischen Gemüsegarten Gute Nacht gesagt, wäre übertrieben. Richtig ist, dass sie uns schon bei kleineren Ausflügen ins Umland von Nairobi über den Weg liefen. War uns sonntags langweilig, fuhren wir auf einen Sprung in den örtlichen Nationalpark oder an den Lake Naivasha und stolperten verlässlich über das eine oder andere vergnügt äsende Großtier.

Bald nachdem die kleine Bb uns in unsere neue kleine hessische Heimatstadt gefolgt war, besuchten wir eines Sonntagmorgens den nahegelegenen Opel-Zoo und dachten uns nichts dabei. Erst als sie juchzend einem heranschlurfenden Elefanten Karotten durch den Elektrozaun hindurch zuwarf, ahnten wir, was wir getan hatten. Von nun an würde sie glauben, dass diese Tiere hier ebenso normal waren  wie in Kenia.

Normal ist, was nicht weiter auffällt. Warum steht ein Elefant in Hessen und frisst Bio-Karotten vom Edeka? Gehört der hier hin? Würde er auf den großen afrikanischen Ebenen auch solche Karotten finden? Für mich wichtige Fragen. Für Bb eher nicht. Ich habe den Eindruck, sie findet ein ganz handelsübliches Wollschaf viel exotischer.

In Bbs Kindergarten sind gefühlte 95 Prozent aller Kinder blond und blass. Und der Rest? Ein Mädchen mit vermutlich pakistanischen Eltern, ein Junge mit einer lateinamerikanischen Mutter und natürlich Bb selbst. Bis vor ein paar Wochen hatte ich den Eindruck, ihr war noch gar nicht aufgefallen, dass sie ein bisschen anders aussieht, als die anderen.

Seit vorgestern ist das nicht mehr so. Da lag sie gegen acht Uhr abends in ihrem Bettchen und begann kurz vor dem Einschlafen zu philosophieren. Der Martin, das ist der kleine Lateinamerikaner, und der Trevor, das ist der Sohn unserer ehemaligen Haushälterin Kenia, das seien ihre Brüder. Ich fragte, warum. Weil die Jungs und sie selbst braun seien, murmelte sie schläfrig.

War ihr das selbst aufgefallen, oder haben die anderen Kinder im Kindergarten es ausgesprochen? Ich weiß es nicht. Im Moment scheint mir ihre Erkenntnis auch wertfrei zu sein. Sie ist braun, die anderen eher käsig. Na und? Wir Eltern erklären ihr, wir seien alle aus Schokolade gemacht, die einen aus dunkler, die anderen aus heller.

In Ghana und Kenia hieß es immer, Weiße sähen alle gleich aus. Anfangs wunderte mich das. Die Leute dort hatten alle dunkle Haut, dunkelbraune bis schwarze Haare und braune Augen, während die „Weißen“ nun mal blond-, braun- oder rothaarig waren und braune, blaue oder grüne Augen hatten.

Das schien den Afrikanern gar weiter nicht aufzufallen. Um sich zu unterscheiden, achteten sie auf andere Dinge, vor allem die „complexion“, die Schattierung der Haut. Über Hautfarbe zu reden, war normal. Unser kenianischer Tagwächter Collins beschrieb im Zweifel Leute immer mit „etwas heller“ oder „sehr dunkel“. Hierzulande würde man damit gleich verdächtig machen.

Hautfarbe hin der her, viel wichtiger ist es hier doch, welches Auto ich fahre. Bb und ich gehen morgens zu Fuß zum Kindergarten, das heißt, sie rollert und ich schiebe. Andere Eltern sorgen für Luxusstau und drängeln auf der kleinen Dropoff-Zone mit großen SUVs von BMW, Mercedes, Porsche und Landrover oder auch Volkswagen Multivan. Am schönsten  ist der Auftritt der Kinder eines Nachbarn. Der schickt gelegentlich seine Kinder aus fußläufiger Entfernung im Porsche Cayenne, den – Anschnallen bitte! – die Nanny fährt.

Was machen wir bloß, wenn Bb anfängt, das für normal zu halten? Müssen wir ihr dann zum nächsten Weihnachten den Baby-Porsche schenken? Und was ist mit Weihnachten in 15 Jahren? Lieber nicht dran denken.

Irgendwie anders

Letztens schickte mir der Kindergarten eine Mail. Es würde jetzt wärmer werden. Eltern sollten darauf achten, ihre Kinder immer gut vor der Sonne zu schützen. Also eincremen, Mütze auf, und einfach nicht zu lange in der Sonne sein.

Das nenne ich Service! Denn Jahreszeiten gab es Kenia nicht so viele. Eigentlich nur zwei. Die warme und die regnerische. Es hätte also durchaus sein können, dass wir den drohenden Sommer hierzulande übersehen würden.

Und wenn schon. Ich erlaube mir ein stilles Lächeln. Wenn die kleine Bb auf etwas hierzulande gut vorbereitet ist, dann ist es das bisschen Sonne. Die 1758 Sonnen-Stunden in Frankfurt im Jahr (in Nairobi sind es 2464) steckt sie locker weg.

Und sonst?

Gestern beim Kindergeburtstag gewesen. Motto-Party. Frozen*. Wer’s nicht kennt, hier die Kurzanalyse von einer meiner Lieblings-Kritiker-Seiten, rogerebert.com: „…will die Konventionen des typischen Disney-Prinzessinnen Films wiederbeleben, zugleich über den Haufen werfen und dabei die ästhetischen Bedingungen für maximales Merchandising erfüllen.“

Yep.

Ich habe den Film gesehen. Ich habe während meiner fünf Jahre in Kenia alle Filme gesehen. Alle? Ja, alle. Außerdem schaue ich tatsächlich gerne Animationsfilme. Zu meinen Favoriten gehören „Spirited Away“, „Up“, „Ghost in the Shell“ (ok, keine Animation), „The Incredibles“ und „Bolt“ – vor allem wegen des großartigen Sidekicks, ein Hamster namens Rhino.

Es liegt also nicht an einer generellen Abscheu vor Animationsfilmen, dass ich Frozen eher lahm fand. Vor allem die Songs. Was eher schlecht ist, denn wenn etwas an Disney-Filmen gut zu sein hat, sind es die Songs.

Die Zwillinge, zu deren Party die kleine Bb nun eingeladen war, teilten meine Meinung offenbar nicht. Denn es gab Frozen-Kuchen, Frozen-Kekse, Frozen-Teller, Frozen-Tassen, Frozen-Löffel und Frozen-Songs. Und einen Frozen-Live-Auftritt.

Irgendwann mussten sich alle Kinder im Wohnzimmer versammeln. Ein kleiner Lautsprecher wurde aufgebaut, ein Frozen-Song angeschaltet. Während sie warteten, rätselten die Kinder, was nun passieren würde. Eines sagte, vielleicht käme jetzt der Weihnachtsmann durch die Türe. „Oder der Osterhase“, warf ich ein, wurde aber sofort von mehreren Vierjährigen belehrt, das sei Quatsch, der wäre ja erst kürzlich da gewesen.

Die Flügeltüre öffnete sich. Herein kam die Prinzessin. Die mit den silbernen Haaren, dem blauen Kleid, die tragische, eisige – Elsa. Diese Elsa war allerdings etwa eins Achtzig groß und 25 Jahre zu alt. Sie tanzte, schwenkte ihr Glitzerkleid und bewegte den Mund zum Playback.

Später durften sich alle Kinder von ihr schminken lassen. Soweit ich mich erinnere wollten alle Prinzessin sein. Gut, dass es bei Frozen gleich zwei davon gibt.

Dann kam Bb an die Reihe, die sich während des Songs die ganze Zeit die Ohren zugehalten hatte. Sehr zur Überraschung aller anderen teilnehmenden Kinder und Mütter (muss ich erwähnen, dass ich der einzige Mann auf der Party war?) wollte sie eine Gazelle sein.

Auch die schminkende Ex-Prinzessin schien überfordert. Sie konnte ja nicht wissen, dass Besucher in Kenia uns einst ein Stofftier mitgebracht hatten. Es war ein Elch und Bb, die dafür spontan eine passende Bezeichnung suchte, entnahm ihrem noch kleinen, lokal geprägten Erfahrungsschatz die nächstliegende: Gazelle.

Ich übersetzte. Als die Schminkende auf ihrem Handy nachschlagen musste, ob Sven (der Elch) eigentlich Schnurrhaare hat, verlor Bb die Geduld, hopste vom Stuhl und aß noch eine rosa-glitzernde Gummimaus.

Während ich ihr zusah, dachte ich hoffnungsvoll darüber nach, ob uns vielleicht die Prinzessinnenphase erspart bliebe. Falls nicht, wird es in diesem Blog demnächst Beiträge mit Titeln wie diesem geben – „Rosa, Prinzessin….ahhhh wie lange dauerte die bei euch an?“, den ich gerade in einem Eltern-Forum gefunden habe.

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* Und hier die deutschen Filmtitel:

Frozen = Die Eiskönigin – Völlig unverfroren
Spirited Away = Chihiros Reise ins Zauberland
Up = Oben
Ghost in the Shell = siehe links
The Incredibles = Die Unglaublichen
Bolt = Bolt: Ein Hund für alle Fälle

Lob und Tadel

Zwei heitere Kampagnen erfreuen zurzeit die social media affinen Bürger zweier großer Länder Ostafrikas, Kenia und Tansania. Hinter der einen steckt Kritik, hinter der anderen Lob für den jeweiligen Präsidenten des Landes.

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Der Tod ist ein ungnädiger Nachbar (3)

Was bisher geschah: Unser Gärtner Leonard ist Ende Juli überfahren worden und gestorben. Ich war bei seiner Beerdigung und erwies ihm die letzte Ehre, und das ist wirklich keine Floskel. Und jetzt? Jetzt geht das Leben für seine Frau und seiner Kinder weiter. Muss ja. Wie, darum geht es in diesem dritten Teil der Geschichte.

Schon am Tag nach Leonards Tod, hatte sein Bruder auf unserem Garagenvorplatz gestanden und um Hilfe gebeten. Natürlich würden wir helfen, die Frage war nur wie und wem.

Wie ich jetzt von seinem Bruder erfuhr, war Leonard nicht nur für seine Frau, Rhoda, und Kinder, sondern auch für die gesamte „extended family“ verantwortlich. Er war für Mutter, Vater, Onkels, Brüder, Tanten, Nichten und Neffen der einzige Verdiener, „Breadwinner“ wird das hier genannt. Sollten wir uns entscheiden, mit Geld zu helfen, mussten wir also aufpassen, dass es in den richtigen Taschen landete.

Nach ausführlicher Beratung mit Collins, unserer Haushälterin Rose und anderen Einheimischen beschlossen wir erst einmal, den Bruder von den Verhandlungen auszuschließen. Die beiden waren sich einig, dass es besser sei, wenn niemand außer Rhoda wüsste, wer wem wieviel Geld gegeben habe.

Leonard hatte zwei Kinder, ein vierjähriges Mädchen, das am Grab schrecklich geweint, und einen zehnjährigen Jungen, der mit versteinerter Miene danebengestanden hatte. Anders als die Kinder von Collins besuchten sie die öffentliche Schule, was zunächst einmal eine gute Nachricht war. Denn dann musste Leonards Frau wenigstens keine teuren Schulgebühren bezahlen.

Von der schlechten Nachricht, oder sagen wir mal, der Bedrohung, die in der Luft hing, erzählte mir Rose. Sie hatte ihren Mann vor zehn Jahren ebenfalls unverschuldet durch einen Autounfall verloren. Da ihr Mann beamteter Landvermesser gewesen war, gehörte sie damals zu den Besserverdienenden. Die Familie besaß ein großes Haus und zwei Autos.

Am Tag nach dem Tod ihres Mannes standen seine Brüder vor der Türe. Doch nicht etwa um zu kondolieren. Nein, sie wollten das Haus in Besitz nehmen. Als sich Rose dagegen wehrte, wollten sie wenigstens das verbliebene Auto haben. „To make a long story short“, sagte Rose, „ich habe mich mit der Familie vier Jahre lang gestritten. Dann hatte ich es satt und haben ihnen alles überlassen. Das einzige was ich behalten wollte und auch behalten habe, ist die kleine Rente meines Mannes“.

Im schlechtesten Fall würde es Leonards Frau genauso gehen. Man würde ihr alles wegnehmen, sie könnte die Miete nicht mehr bezahlen und säße auf der Straße. Die Logik dahinter ist: Heiratet eine Frau, verliert sie ihr ursprüngliche Familie und wird Teil der Familie des Mannes. Stirbt der Mann, dann ist der Grund, warum sie Teil seiner Familie war, verlorengegangen. Das muss nicht immer so sein in Kenia, aber es kann.

Ein paar Tage nach der Beerdigung kam Rhoda vorbei. Ich fragte sie nach dem Haus, das Leonard für sich und seine Familie gebaut hatte (es war fast fertig) und ob sie dort wohnen könnte. Sie sagte, Leonard habe immer einen guten Kontakt zu seiner Mutter gehabt. Er sei sogar ihr Lieblingssohn gewesen. Das spräche für sie, als seine Frau, aber viel Hoffnung habe sie dennoch nicht.

Ich rechnete ihr vor, was ich Leonard ohnehin noch an Lohn und sonstigen Leistungen schuldig war und auch was er mir noch geschuldet hatte, da ich ihm ein paar Monate vorher Geld für den Hausbau geliehen hatte. Dann legte ich noch etwas dazu. Am Ende kam in etwa eine Lohnfortzahlung von unserer Seite für die nächsten sechs Monate dabei heraus.

Als ich Rhoda schließlich fragte, ob denn nicht auch der Unfallverursacher etwas beitragen könne, lächelte sie nur gequält. Und was hinter diesem Lächeln steckt, das wird der vierte Teil dieser Geschichte.

Die Geschichte hinter der Geschichte

Nach dem Besuch des Flohmarkts der deutschen Kirchengemeinde Nairobi waren wir um verschiedene Dinge reicher geworden, die ansonsten hier schlecht zu bekommen sind: Ein Kinderwagen der mir unbekannten Marke Emmaljunga, was nichts heißen soll, da ich überhaupt keine Kinderwagen-Marken kenne, eine große Kiste Lego Duplo und ein paar abgelegte deutschsprachige Kinderbücher.

Wie das mit Flohmarktfunden so ist, weiß man erst zuhause, ob der Fang gut oder schlecht war. Das ist jetzt dahingeplappert, weil ich nicht nur keine Ahnung von Kinderwagen habe, sondern auch nie auf Flohmärkte gehe und deshalb einräumen muss, überhaupt nicht zu wissen, wie das mit Flohmarktfunden so ist. Nun aber stellten wir folgendes fest:

A) Emmaljunga ist ein schwedischer Hersteller von Premiumfahrzeugen, wie man bei Autos sagen würde, und das Gefährt würde neu so viel kosten wie ein guter Satz 17-Zoll Leichtmetallfelgen oder ein sehr billiger Gebrauchtwagen, um dem Vergleich mit den Autos treu zu bleiben.

B) Lego wird umso lustiger, je mehr Überreste einstiger Themen-Sets sich bunt gemischt in der Kiste befinden. So kann man nicht nur – nein – man muss sogar das Indianer-Set mit dem Feuerwehr-Set kombinieren und eventuell noch eine Prise Flugzeug-Hangar und Bauernhof hinzufügen. Unsere Geschichten, in denen sich Apachen, Piloten und Brandmeister Gute Nacht sagen, spielen nun vor einem Hintergrund aus nicht zuordenbaren Mauerresten mit rosa Ziegelimitaten an deren Fundamenten Kühe neben Eisbären grasen.

C) Das Buch „Hasenmotor kostet nix“, aus der Schnuddel-Reihe von Janosch barg etliche Überraschungen. Zum Beispiel die, dass ich dem jugendlichen Verkäufer hier in Nairobi tatsächlich mehr dafür gezahlt habe, als die 0.80 Euro, die das Buch aus dem Jahr 1990 gebraucht auf Amazon kostet.

Dann, dass ich nun doch ein Janosch Buch in der Hand hielt, was zu vermeiden mir bisher sehr gut gelungen war. Einerseits, weil ich ja bisher kein Kind hatte, dem ich die Geschichten hätte vorlesen können. Andererseits, weil mir dieses an Irrsinn grenzende Janosch-Merchandising schon immer auf die Nerven ging. Durch den bloßen Aufdruck eines gestreiften Tieres werden Sonnen-Rollos, Mini-Eimer-Sets oder Fahrradkörbe saftig preiserhöht ins Janosch-Imperium eingegliedert. Da lobe ich mir den verehrten Bill Waterson, Schöpfer von „Calvin und Hobbes“, der diese Geldmacherei für seine Figuren immer abgelehnt hat.

Das eigentlich wirklich bemerkenswerte am Janosch-Buch bemerkte ich erst heute Morgen, als die kleine B. und ich es erstmals gemeinsam lasen. Sie hatte mal wieder einen dieser Infekte mit einem Fieber, das uns Eltern tiefe Sorgenfalten ins Gesicht furcht, während Kleinkind immer noch fröhlich vom Sofa auf den Sessel und wieder zurück springt und dabei im Flug „Backe backe Kuchen“ singt.

Wir lasen also das Janosch-Buch, und die kleine B. fragte eins ums andere Mal, während sie mit dem Finger auf die Seiten deutetet: „Dassa?“. Da das Dassa „Das da?“* heißen soll, antwortete ich mit besonderer Betonung auf die beiden ersten Worte „DAS DA ist ein Fahrrad.“ Eine Seite später, an deren unterem Rand eine Ente Ziehharmonika spielt (Dassa?), fragt oben im Text der Hase Rudi: „Issas ein Fahrrad.“ Das „Issas“ hat jemand handschriftlich korrigiert. Es heißt jetzt „Ist das“.

Nun frage ich mich, wiefinnichnas, warumnsowas, und: wer hannasvabessad? War es etwa der kleine, zirka achtjährige Besserwisser selbst? Oder seine bemühten Eltern, die ihn vielleicht schon vor fünf Jahren für den ersten Chinesischkurs und das zweite juristische Staatsexamen angemeldet haben? Oder ist das ein besonderer Gag des Autors und seines Verlags? Und wenn nicht, wird diese Stelle – und auch das „hassu“ auf der Seite davor – aufgrund wütender Proteste von Eltern in der nächsten Aufgabe verbessert?

Egal wer, wie und warum, ich werde ab jetzt öfter auf Flohmärkte gehen.

* Dada?

Danke, Barack

Als wir vor sieben Jahren in Ghana ankamen, klagte ein älterer Kollege von E., dass er es nach langem Auslandseinsatz nun am Rücken habe. Die vielen Schlaglöcher und die ungeteerten Straßen, das sei einfach zu viel, sagte er und rieb sich wie zum Beweis mit der Hand über die Lendenwirbel.

Pah, alter Knacker, dachte ich damals hämisch.

Sieben Jahre später schmerzt mich selbst der Rücken, wenn ich beispielsweise die kleine B. über eine Kraterlandschaft von Schlaglöchern in den Kindergarten fahre. Sie wirft sich dann in ihrem Kindersitz hin und her und ruft „Dldldldldldl!!!“, was ebenso laut wie malerisch das Gerumpel des Autos nachahmen soll. Glückliche Jugend, denke ich, und reibe mir still die schmerzende Stelle.

Gestern fahre ich sie mal wieder in den Kindergarten und bemerke, dass Gewackel und Dldldldldldl-Rufe ausbleiben. Nach ein paar Sekunden klickt es. Die Straße ist repariert worden. Es ist ein Wunder. Ich und mein Rücken können uns gar nicht beruhigen vor Glück. Dann habe ich noch anderswo in Nairobi zu tun und sehe nun, wachen Auges, was hier geschieht.

Hunderte von Arbeitern in Overalls, mit Schippen, Schaufeln, Hacken und Pinseln bewehrt, bringen die Stadt auf Hochglanz. Vom Flughafen bis ins Zentrum wird der Mittelstreifen begrünt, der bisher eher an eine Mischung aus Sahara und Mülldeponie erinnerte. Die Straße zum Regierungssitz hat plötzlich richtige Gehwege. Überall werden die Randsteine gelb-weiß angemalt und die Farbe der Poller aufgefrischt. Und neuer, duftender Teer bedeckt die Schlaglöcher bis zum Horizont.

Und das alles, weil Barack Obama nächste Woche anlässlich einer Konferenz zu Besuch nach Nairobi kommt.

Auch in einer anderen Sache sorgt Obama für Bewegung. Seit Wochen tobt hier eine Diskussion in der Politik und in den Medien darüber, ob sich Obama bei seinem Besuch in Kenia zur Homosexualität äußern dürfe oder nicht. Zur Erinnerung: In den USA hat gerade der Oberste Gerichtshof die sogenannte Homo-Ehe landesweit legalisiert.

In Kenia hingegen werden homosexuelle Handlungen laut Gesetz mit 14 Jahren Gefängnis bestraft.

Anlässlich einer Demonstration vor ein paar Tagen drohte ein Parlamentarier, er werde Obama sagen, dass er „das Maul halten und nachhause gehen“ solle, falls er bei seinem Besuch sich zur Homosexualität äußere. Ein Sprecher des Weißen Hauses entgegnete, Obama würde es sich natürlich nicht verbieten lassen, über Menschenrechte zu sprechen.

Der bisherige Höhepunkt der Diskussion ist das Vorhaben einer völlig unbekannten, offenbar ultra-konservativen kenianischen Partei, eine Demonstration mit 5000 unbekleideten Frauen und Männern zu organisieren, die Obama den Unterschied zwischen den Geschlechtern noch einmal verdeutlichen soll.

Da sich für die Aktion nur sehr wenige Frauen freiwillig gemeldet haben, soll der Anführer dieser Partei nun Prostituierte angeheuert haben, um die Lücken zu füllen. Auf die Frage, wer das finanziert, soll er geantwortet haben, die Prostituierten beteiligten sich kostenlos, da eine Legalisierung der Homosexualität für sie geschäftsschädigend wäre.

Ich fasse noch einmal zusammen:

a) Weil Barack Obama den Unterschied zwischen Mann und Frau nicht kennt, befürwortet er die Legalisierung von Homosexualität. Der bloße Anblick primärer und sekundärer Geschlechtsmerkmale genügt, um Homosexualität als falsch zu entlarven und ihn vom Gegenteil zu überzeugen.

b) Sobald Homosexualität erlaubt ist, wenden sich Männer, die normalerweise mit Prostituierten verkehren, von diesen ab und Männern zu. Homosexualität ist also keine Frage der Neigung, sondern eine des Budgets. Sex mit Frauen kostet, Sex mit Männern ist gratis.

Ach, das wusste ich ja gar nicht!

Danke, Mr President, für die Begrünung des Mittelstreifens, die frisch gefüllten Schlaglöcher, die angepinselten Poller und für Ihren unfreiwilligen Beitrag zu meiner sexuellen Aufklärung.

Im Land der Silberrücken

Ja, die Feiertage. Sie sind nicht einfach. Für eine Ehe. Besonders aus Sicht des Mannes. Denn zwischen Weihnachten und Neujahr macht er eine schreckliche Entdeckung. Seine beruflich erfolgreiche Frau hat – Trommelwirbel – nein, keine Affäre, sondern keine Ahnung davon, wie man einen Haushalt in Ordnung hält. Warum stellt der Mann das gerade über die Feiertage fest? Ganz einfach: Weil die Putzfrau im Urlaub ist.

So steht es im Samstagsmagazin der größten kenianischen Tageszeitung in der Rubrik „Die Männliche Perspektive“. Das erinnert mich spontan an unseren Weihnachtsurlaub, den wir in Uganda verbracht haben. Dort ist es schön, es regnet viel im Regenwald, und in diesem leben Schimpansen, Gorillas und Bonobos. Schimpansen mögen uns vielleicht genetisch ähnlicher sein, als Gorillas, aber die geben ein viel besseres Rollenvorbild für menschliche Männer ab.

Stichwort: Silberrücken. Der Silberrücken ist der Boss der Gorillas. Er hat tatsächlich oberhalb seines beträchtlichen Hinterns graues Haar. Drum heißt er so. Auf diesem Hintern sitzt er auf dem Boden des Regenwalds und frisst. Und frisst. Und frisst noch mehr. Und hört gar nicht mehr auf. Das ist es, was ein Gorilla so den Tag über treibt. Nein, stimmt nicht ganz: Nach dem Fressen ruht er. Wieder auf seinem dicken Hintern.

Auf einmal sieht Silberrücken, wie ein vermutlich von ihm produzierter Kleinst-Gorilla auf einem schmächtigen Baum sehr leckere Blätter entdeckt hat. Die will er auch haben und schwingt seine stattlichen 200 Kilogramm erstaunlich behände hinauf. Der Baum hält das nicht aus und bricht. Baum samt Boss stürzt krachend um. Gorilla-Baby fliegt im hohen Bogen in den Busch. Boss kommt auf dem nun horizontalen Stamm zur Ruhe, wo er weitermampft. Der Nachwuchs sich indes aus dem Unterholz wühlt.

Am Tag nach dem Besuch bei den Gorillas erreichen wir eine Lodge. Zwei Angestellte, ein junger Mann und eine junge Frau, erscheinen am Wagen, um beim Gepäck behilflich zu sein. Ich reiche dem jungen Mann eine Tasche und sage dazu, es handle sich hier um die schwerere. Er reicht sie wortlos an die junge Frau weiter. Ich sage, na, das sei aber seltsam, dass er nicht schwere Tasche nähme. Er entgegnet mit feinem Lächeln: „Ich bin ein Silberrücken.“

Zurück zur Samstagsausgabe der Tageszeitung. Der Artikel ist insgesamt eine ganze Seite lang. Die Frauen, deren Mangel an Haushaltskönnen hier beklagt wird sind „nicht die Hausfrauen“, sondern „berufstätige Frauen mit Abschlüssen und lockeren Jobs. Frauen, die genau so viel verdienen, wie wir, oft sogar mehr.“

Und nun das dick hervorgehobene und rot gedruckte Zitat in diesem Artikel: „Diese ansonsten unabhängige Frau hat nicht die geringste Ahnung davon, wie sie ihr Heim zu managen soll.“ Ich frage mich nur: Warum ist es „ihr“ Heim? Zahlt sie die Miete? Ist ihr Mann nur zu Gast? Und wo wohnt der sonst so? Vielleicht im Regenwald.

Wo Ziegen fliegen

Riesen Staubfahne auf einer Piste aus festgebackenem Dreck. Winkende Kinder am Wegesrand. Fliehende Ziegen und glotzende Kühe. Erstaunt sehen wir, wie sich ein ziemlich dünner Weißer zu Fuß den Hang herauf schleppt, den wir gerade mit unserem Geländewagen hinunterrumpeln.

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