Jetzt kann ich endlich verraten, wofür dieses B. steht, von dem hier immer Rede ist: Bissspuren.
michael
Eine kleine Weihnachtsgeschichte
Was macht die kleine B., die zum ersten Mal in ihrem Leben einen Adventskranz sieht?
Sie singt „Happy Birthday“ und bläst die Kerzen aus.
Außerdem heißt der Nikolaus bei ihr „Nikomaus“, und seinem ebenso fragilen wie wohlschmeckenden Schokoladenhohlkörper wird sofort das Genick gebrochen.
Ich habe mir als Kind die Nikoläuse eher aufgespart. Manch einen schmolz sogar die warme Frühlingssonne hin. E. habe ihren immer sofort gegessen, sagt sie. Dann auch den ihrer Schwester, dessen Umhüllung sie nach Verzehr feinkosmetisch wiederherzustellen versuchte. Die Täuschung soll aber nicht lange vorgehalten haben.
Was ich aber eigentlich sagen wollte: Nach langen, nervenaufreibenden Monaten ist unsere Adoption vor ein paar Tagen genehmigt worden. Wir sind nun eine richtige, echte Familie.
Ein schöneres Weihnachten gibt es nicht.
Lob und Tadel
Zwei heitere Kampagnen erfreuen zurzeit die social media affinen Bürger zweier großer Länder Ostafrikas, Kenia und Tansania. Hinter der einen steckt Kritik, hinter der anderen Lob für den jeweiligen Präsidenten des Landes.
Pop’s Emergency Rations
The Pope is coming to town, and the experienced Nairobian is prepared for anything:
- 25 liters of petrol for the generator (you never know)
- Noise cancelling headset for the welcome salute at State House (I wonder if the Pope likes thundering cannons)
- Complete set of West Wing to cover the spontaneous holiday (these days tend to drag on)
- Family pack of fish fingers (for the family in need)
- A radio to keep in contact with your Askari (is everthying still alright, soldier?)
- Deep frozen German Apfelstrudel (to keep everybody smiling)
- Mangos for the vitamin conscious (to have them around makes you feel healthy already)
- Cheese Nachos (to crunch through the endless coverage on TV)
- Beef franks (that go so well with noodles and ketchup, says little B.)
- Chocolate and bagels (they’re just always good to have)
“A country is rich where a rich man goes to work in a train and not in his car.”
Waiting in the queue at a local supermarket this morning, with my hands full with milk, joghurt, banana and coffee, I overheard two gentlemen behind me discussing the economic state of Kenya. Then one of them delivered the wisdom of the day.
Der Tod ist ein ungnädiger Nachbar (3)
Was bisher geschah: Unser Gärtner Leonard ist Ende Juli überfahren worden und gestorben. Ich war bei seiner Beerdigung und erwies ihm die letzte Ehre, und das ist wirklich keine Floskel. Und jetzt? Jetzt geht das Leben für seine Frau und seiner Kinder weiter. Muss ja. Wie, darum geht es in diesem dritten Teil der Geschichte.
Schon am Tag nach Leonards Tod, hatte sein Bruder auf unserem Garagenvorplatz gestanden und um Hilfe gebeten. Natürlich würden wir helfen, die Frage war nur wie und wem.
Wie ich jetzt von seinem Bruder erfuhr, war Leonard nicht nur für seine Frau, Rhoda, und Kinder, sondern auch für die gesamte „extended family“ verantwortlich. Er war für Mutter, Vater, Onkels, Brüder, Tanten, Nichten und Neffen der einzige Verdiener, „Breadwinner“ wird das hier genannt. Sollten wir uns entscheiden, mit Geld zu helfen, mussten wir also aufpassen, dass es in den richtigen Taschen landete.
Nach ausführlicher Beratung mit Collins, unserer Haushälterin Rose und anderen Einheimischen beschlossen wir erst einmal, den Bruder von den Verhandlungen auszuschließen. Die beiden waren sich einig, dass es besser sei, wenn niemand außer Rhoda wüsste, wer wem wieviel Geld gegeben habe.
Leonard hatte zwei Kinder, ein vierjähriges Mädchen, das am Grab schrecklich geweint, und einen zehnjährigen Jungen, der mit versteinerter Miene danebengestanden hatte. Anders als die Kinder von Collins besuchten sie die öffentliche Schule, was zunächst einmal eine gute Nachricht war. Denn dann musste Leonards Frau wenigstens keine teuren Schulgebühren bezahlen.
Von der schlechten Nachricht, oder sagen wir mal, der Bedrohung, die in der Luft hing, erzählte mir Rose. Sie hatte ihren Mann vor zehn Jahren ebenfalls unverschuldet durch einen Autounfall verloren. Da ihr Mann beamteter Landvermesser gewesen war, gehörte sie damals zu den Besserverdienenden. Die Familie besaß ein großes Haus und zwei Autos.
Am Tag nach dem Tod ihres Mannes standen seine Brüder vor der Türe. Doch nicht etwa um zu kondolieren. Nein, sie wollten das Haus in Besitz nehmen. Als sich Rose dagegen wehrte, wollten sie wenigstens das verbliebene Auto haben. „To make a long story short“, sagte Rose, „ich habe mich mit der Familie vier Jahre lang gestritten. Dann hatte ich es satt und haben ihnen alles überlassen. Das einzige was ich behalten wollte und auch behalten habe, ist die kleine Rente meines Mannes“.
Im schlechtesten Fall würde es Leonards Frau genauso gehen. Man würde ihr alles wegnehmen, sie könnte die Miete nicht mehr bezahlen und säße auf der Straße. Die Logik dahinter ist: Heiratet eine Frau, verliert sie ihr ursprüngliche Familie und wird Teil der Familie des Mannes. Stirbt der Mann, dann ist der Grund, warum sie Teil seiner Familie war, verlorengegangen. Das muss nicht immer so sein in Kenia, aber es kann.
Ein paar Tage nach der Beerdigung kam Rhoda vorbei. Ich fragte sie nach dem Haus, das Leonard für sich und seine Familie gebaut hatte (es war fast fertig) und ob sie dort wohnen könnte. Sie sagte, Leonard habe immer einen guten Kontakt zu seiner Mutter gehabt. Er sei sogar ihr Lieblingssohn gewesen. Das spräche für sie, als seine Frau, aber viel Hoffnung habe sie dennoch nicht.
Ich rechnete ihr vor, was ich Leonard ohnehin noch an Lohn und sonstigen Leistungen schuldig war und auch was er mir noch geschuldet hatte, da ich ihm ein paar Monate vorher Geld für den Hausbau geliehen hatte. Dann legte ich noch etwas dazu. Am Ende kam in etwa eine Lohnfortzahlung von unserer Seite für die nächsten sechs Monate dabei heraus.
Als ich Rhoda schließlich fragte, ob denn nicht auch der Unfallverursacher etwas beitragen könne, lächelte sie nur gequält. Und was hinter diesem Lächeln steckt, das wird der vierte Teil dieser Geschichte.
“In town sir will make it by four pliz forgive me m african.”
A text message from a possible buyer of my car I received at 3.20pm. Our appointment was set for 3pm. Had texted at 2.30pm to confirm the meeting was is still on. No answer. Texted again on 3.15pm to find out where he is. Didn’t know what to say. Still don’t.
Meine ganz persönliche Persönlichkeitsveränderung
Vor ein paar Jahren habe ich hier in Kenia eine Radioshow mitverfasst und –produziert in der eine fiktive Familie 14 Folgen lang Probleme mit Energie hat, also mit Licht oder dem Feuer fürs Kochen. Gemeinsam mit einem lokalen Puppenspieler-Team, (das übrigens auch die Latex-Köpfe für die kenianische Ausgabe von „Spitting Image“ zum Leben erweckt), arbeitete ich an den Ideen, den Dialogen und den Namen für die Familie. Dabei überraschte mich ein Detail, das mich damals wunderte und heute überhaupt nicht mehr.
In der Radioshow ging es vor allem darum, neuen Ideen gegenüber aufgeschlossen zu sein, in diesem Fall eine Lampe zu verwenden, die statt mit Kerosin mit Solarstrom betrieben wurde, oder auf einem energiesparenden Ofen zu kochen statt auf dem offenen Feuer. Die Familie mit den Energieproblemen hatten wir uns so ausgedacht: Die Kinder sind neugierig und ein bisschen oberschlau, die Mutter ruhig und pragmatisch und der Vater aufbrausend und konservativ.
Der Name dieses unbelehrbaren Mannes sollte dem Wunsch der Puppenspieler nach „Baba Boi“ lauten. Er sollte also „Papa des Jungen namens Boi“ heißen. Dass Boi vielleicht ein kenianischer Jungenname sein sollte, der sich verdächtig nach dem englischen Boy anhörte, ließ ich noch gelten. Aber warum hatte der Mann denn keinen eigenen Namen? Die Puppenspieler schauten mich ebenso verständnislos an, wie ich sie. Nach kurzer Diskussion hatte ich wieder etwas gelernt: Wer hier ein Kind hat, wird traditionell nur noch Mama oder Baba XYZ genannt.
Jahre später, im Januar 2015, durften wir zum ersten Mal unser zukünftiges Kind in seinem Heim besuchen. Wir wussten nichts von ihr, nur dass es ein etwa zweijähriges Mädchen war. Die Sozialarbeiterin führte uns in einen Besucherraum. Nervös saßen wir auf einem Stoffsofa und starrten auf die angelehnte Türe, durch die demnächst dieser kleine, unbekannte Mensch treten sollte. Die Türe öffnete sich. Herein kam eine Schwester, an deren Hand die kleine B. hinterhertapste. Erst schaute sie E. an, dann mich, streckte ihre Ärmchen aus und sagte „Babaa“.
Ich hatte mich vor diesem Moment oft gefragt, ob ich denn ein Kind, das nicht mein biologischer Nachkomme war, überhaupt lieben könnte. Diese Frage hatte sich in diesem Moment beantwortet. Ein für alle mal. Sie war so was von beantwortet, als hätte es sie nie gegeben.
Neben vielem anderen, was sich in unserem Leben änderte, waren wir von nun an nur noch Babaa und Mamaa B. Zunächst im Heim, wo die Schwestern in dem Moment, da wir bei weiteren Besuchen durch die Türe traten, schallend durch die Gänge riefen, „Mamaa B. ist hier.“ Wochen später, als wir die kleine B. nachhause brachten, setzte sich das auch bei unserem Personal durch, dann auch in E.s Büro, bei Besuchen im Supermarkt, einfach überall.
Falls in dieser Hinsicht Zweifel bestehen, möchte ich kurz hinzufügen, dass dieser Namenswechsel das einzige ist, was ich mit dem Papst gemeinsam habe, der ja nach seinem Amtsantritt seinen Taufnamen ablegt und sich fortan erst Papa Johannes, Paul, Benedikt, Franziskus oder so ähnlich nennt.